Politik

Potenzial der Krebsprävention ist noch weitgehend ungenutzt

  • Freitag, 15. März 2024
/Mopic, stock.adobe.com
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Berlin – Beim Kampf gegen Krebs steht die Prävention noch viel zu selten im Fokus. Von aktuell rund 500.000 Krebsneuerkrankungen pro Jahr in Deutschland könnten fast die Hälfte durch Präventionsmaßnahmen vermieden werden, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestern beim Fachforum Gesundheit des Tagesspiegels in Berlin. Dieses Potenzial werde derzeit jedoch nur unzureichend genutzt.

„Wir haben die Möglichkeiten und Mittel, viele Neuerkrankungen zu vermeiden“, sagte er. Neben dem Verzicht auf Rauchen und Alkohol sowie der Vermeidung von Übergewicht existiere ein „Supermedikament“. Dies heiße Sport und Bewegung. „Es ist gut erforscht, wird aber zu wenig genutzt“, bedauerte Lauterbach. Dabei senke ausreichend Bewegung die Risiken für viele Krebsentitäten um bis zu zehn oder gar 20 Prozent.

„Der vorbeugende Effekt sportlicher Betätigung ist wissenschaftlich erwiesen, selbst die Rückfall- und Metastasierungsquote nach Krebstherapien ist bei verschiedenen Tumorarten deutlich niedriger, wenn regelmäßig Sport getrieben wird“, betonte er. Leider stünde die deutsche Bevölkerung jedoch bezüglich Bewegung schlecht im europäischen Vergleich da. Dies sei auch ein Grund für die niedrigere Lebenserwartung in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.

„Die Potenziale der Prävention müssen besser genutzt werden“, betonte Lauterbach. Auch ökonomisch sei dies erforderlich. „Durch neue Medikamente und Therapien in der Onkologie werden wir künftig eine Preisexplosion haben“, erklärte er. Auch vor diesem Hintergrund komme es darauf an, die Zahl der Neuerkrankungen durch Präventionsmaßnahmen und Forschung zu reduzieren. Politisch wolle man die Rahmenbedingungen dafür schaffen, sagte der Minister und verwies auf mehrere Gesetzesinitiativen, die noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollen. Auf den Weg gebracht werden solle in diesem Zuge auch die Gründung eines Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM). Sein Fokus soll auf der Prävention von nichtübertragbaren Erkrankungen wie Krebs sowie auf bevölkerungsmedizinscher Forschung sowie Aufklärung und Kommunikation liegen.

Auch Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), möchte das Thema Prävention stärker in den Fokus rücken. Durch die Kombination von Prävention und Früherkennung könnten sogar 60 Prozent aller Krebstodesfälle vermieden werden, sagte er. Dieses ungehobene Potenzial der Prävention stünde in keinem Verhältnis zum Benefit durch neue Therapien oder Medikamente. „Wir müssen die Effekte aber endlich auf die Straße bringen“, forderte er.

Einen Beitrag könne diesbezüglich das Nationale Krebspräventionszentrum leisten, so Baumann. Unter Einbeziehung regionaler Partnerschaften in ganz Deutschland soll es eine evidenzbasierte und zunehmend personalisierte Krebsprävention systematisch und deutschlandweit aufbauen. Fachleute sollen künftig evidenzgeprüfte Programme für eine dem persönlichen Krebsrisiko angepasste Prävention entwickeln und Kampagnen entwerfen, um das Bewusstsein für die Prävention in die Bevölkerung zu tragen.

„Prävention ist eine schwierige Angelegenheit“, erläuterte Baumann. Denn Präventionsmaßnahmen hätten einen langen Vorlauf. Im Gegensatz zu erfolgreichen neuen Therapien sehe man Ergebnisse normalerweise erst viel später. Das sei auch ein Grund, weshalb Prävention bislang nicht ganz oben auf der politischen Agenda gestanden habe. „Aber wir brauchen die Politik“, sagte er. Es fehle an Strategien, die die verschiedenen Komponenten verknüpfe. „Wir brauchen die Kooperation vieler Akteure bei der Prävention und dürfen nicht länger in Silos denken“, so Baumann.

„Wenn wir einen großen Sprung im Kampf gegen den Krebs machen wollen, müssen wir Neuerkrankungen vermeiden“, betonte auch Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe. „Dazu brauchen wir Aufmerksamkeit für das Thema Prävention“, forderte er. Die Krebshilfe und das Krebsforschungszentrum würden hier an ihre Grenzen stoßen. „Wir brauchen Strukturen und politische Strategien“, forderte er. „Die Zeit ist reif dafür.“ Zumindest müsse man anfangen und dürfe nicht zu lange über die perfekte Strategie reden.

Veronika von Messling, Abteilungsleiterin Lebenswissenschaften im Bundesforschungsministerium (BMBF), hob ebenfalls die Bedeutung der Prävention hervor, bezweifelte jedoch, dass es jetzt bereits möglich sei, eine Strategie zu entwickeln. „Prävention ist besonders schwierig, da sie eine banale Komponente hat“, sagte sie. Bei der Einschätzung des individuellen Risikos gebe es noch viele Unklarheiten. In der Präventionsforschung sei noch viel Arbeit zu leisten. Dies solle im zweiten Teil der Nationalen Dekade gegen Krebs, ausgerufen durch Forschungs- sowie Gesundheitsministerium (BMG), geschehen. Die Forschung im Bereich Prävention und Früherkennung soll durch sie einen viel höheren Stellenwert erhalten als bisher.

Krebspräventionsforschung und die Überführung ihrer Ergebnisse in eine evidenzbasierte Anwendung sieht auch Nicole Ernstmann vom Lehrstuhl für Versorgungsforschung des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität Köln als eine wichtige Aufgabe an. Dabei müsse man interventioneller werden und sich auch das individuelle Verhalten anschauen, erläuterte sie. „Versorgungsforschung ist auch Verhaltensforschung“, betonte sie. „Wir müssen vom Individuum ausgehend denken.“ Klar sei aber auch: Menschen könnten sich nur so gesundheitskompetent verhalten, wie es ihnen das System vorgebe.

Dieses Problem sei in der Politik angekommen, versicherte Tino Sorge, Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Man müsse mehr in Prävention und Gesundheitskompetenz investieren. „Wir sollten die Kosten nicht erst übernehmen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Leider werde in Deutschland oft nicht langfristig gedacht, auch regulatorisch gebe es diesbezüglich noch Nachholbedarf.

ER

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