Preisanstieg bei patentgeschützten Arzneimitteln hält weiter an

Berlin – Der Anstieg der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht auch im laufenden Jahr unvermindert weiter. Das erklärte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis, diese Woche in Berlin.
Demnach haben die Krankenkassen im ersten Halbjahr 2025 29 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben. Das entspreche einer Kostensteigerung von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2024 hatte die GKV 27,2 Milliarden für Medikamente bezahlt.
Damit waren Arzneimittel allerdings nur auf Platz drei der am stärksten wachsenden Leistungsbereiche: Nach Zahlen des GKV-Spitzenverbandes waren die Kosten für Krankenhausbehandlungen im gleichen Zeitraum um 9,5 Prozent und jene für ärztliche Behandlung um 7,7 Prozent gestiegen.
Dennoch sind Arzneimittel nach den Krankenhäusern weiterhin der zweitgrößte Kostenblock in der GKV. Insbesondere seien dafür in den zurückliegenden Jahren „ungekannte preisliche Höhen“ bei patentgeschützten Arzneimitteln verantwortlich, erklärte Stoff-Ahnis. „Deshalb brauchen wir dringend eine Reform der Preisgestaltung, damit wir das Solidarsystem weiter bezahlbar halten können.“
Dazu könnten auch kurzfristige Maßnahmen nötig werden. So würde allein eine befristete Erhöhung des Herstellerabschlags von sieben auf 16 Prozent zwei Milliarden Euro einsparen. „Das wurde in der Vergangenheit schon getan“, betonte sie. Durch eine Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent könnten demnach gar fünf bis sieben Milliarden Euro im Jahr eingespart werden.
Er stimme ihr zwar zu, dass man mit politischen Maßnahmen auf die Preisentwicklung reagieren müsse, beteuerte SPD-Gesundheitspolitiker Matthias Mieves. „Was wir aber noch brauchen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen, ist eine Auswirkungsanalyse“, sagte er.
Wenn man in dem komplexen System an einzelnen Schrauben drehe, könne man ansonsten auch schnell unbeabsichtigte Effekte verursachen. Das SVR-Gutachten sei aber bereits ein guter Ausgangspunkt für künftige Reformideen.
Einer der Hauptgründe für die Preissteigerungen sei, dass im Preisbildungsverfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) immer mehr Lücken und Ausnahmen entstanden seien, die die vorgesehene Kopplung des Preises an den Zusatznutzen im Vergleich zu zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) aufweichen, erklärte Stoff-Ahnis zudem.
Dafür erhielt sie Zustimmung von Jochen Schmitt, Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) und Mitglied des Sachverständigenrats Gesundheit und Pflege (SVR). Insbesondere bei Orphan Drugs, Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen, sei dies der Fall.
Diesen wird im AMNOG-Verfahren ein fiktiver Zusatznutzen zuerkannt. So könnten die Hersteller oft hohe Preise abrufen, ohne randomisierte, kontrollierte klinische Studien (RCT) einreichen zu müssen, betonte Schmitt.
Die Solidargemeinschaft finanziere diese Arzneimittel dann, ohne ihren echten Nutzen zu kennen – das Sozialgesetzbuch V verpflichte allerdings dazu, den Preis an den Zusatznutzen zu koppeln.
Im seinem jüngsten Gutachten vom Mai habe der SVR deshalb „einen Vorschlag für ein lernendes Gesundheitswesen“ vorgelegt, der unter anderem eine dynamische Preisbildung, ein Rücktrittsrecht des GKV-Spitzenverbandes in Preisverhandlung sowie eine Reform des Orphan-Drug-Status vorsehe.
Außerdem müsse der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Befugnis erhalten, selbstständig industrieunabhängige Studien in Auftrag zu geben, um neue Daten für bereits zugelassene Arzneimittel zu erhalten.
Zurückgewiesen hat Schmitt das Argument der Industrieverbände, dass ein hohes Erstattungspreisniveau positive Effekte auf die Ansiedlung von pharmazeutischen Unternehmen am hiesigen Standort habe.
Der SVR habe nach einer Evidenz für diese Behauptung gesucht, aber keine gefunden. Faktoren wie die Verfügbarkeit von Fachkräften, Infrastruktur, Bürokratie und Datenschutzvorgaben seien allesamt relevanter.
Dafür erhielt Schmitt Zustimmung von Stoff-Ahnis, aber auch von Paula Piechotta, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Sie selbst habe das Medizinforschungsgesetz (MFG) mitverhandelt und dabei „allen 500 mal erklärt“, dass das Preisniveau keine Auswirkungen auf Standortentscheidungen habe, sondern „Fachkräfte und ein bisschen Geostrategie“, sagte Piechotta.
„Wenn die Industrie dann aber zu einer Ministerpräsidentin oder direkt ins Kanzleramt läuft, ist das alles egal“, stichelte sie mit Blick auf die Debatte um die mit dem MFG eingeführten vertraulichen Erstattungspreise in Richtung ihres SPD-Kollegen.
Bis heute halten sich Vorwürfe der Kungelei gegen die damalige Ampelregierung. Die Einführung vertraulicher Erstattungspreise soll demnach eine Voraussetzung für eine Milliardeninvestition des Unternehmens Eli Lilly im rheinland-pfälzischen Alzey gewesen sein.
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