Politik

Preissenkungsmaßnahmen aus GKV-Gesetz nicht verfassungswidrig

  • Mittwoch, 16. Juli 2025
/Mr.Boyz, stock.adobe.com
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Berlin – Die Preisregulierungsmaßnahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Zwei dahingehende Verfassungsbeschwerden aus der Pharmaindustrie hat das Bundesverfassungsgericht (BvErfG) jetzt zurückgewiesen.

Das GKV-FinStG hatte die Pharmaindustrie bei seiner Verabschiedung im Herbst 2022 auf die Barrikaden gebracht. Im Folgejahr hatten deshalb die Unternehmen Roche, Abbvie, Janssen, Ipsen sowie ein Arzneimittelimporteur Verfassungsbeschwerden gegen wesentliche Inhalte des Gesetzes eingelegt. Über zwei dieser Beschwerden hat das Gericht nun entschieden.

Dabei hatten zwei der Unternehmen Preisregulierungsmaßnahmen beanstandet, die die Unternehmen aus ihrer Sicht unverhältnismäßig belasten würden, konkret: den Herstellerabschlag, die Verlängerung des Preismoratoriums, die Regelungen zu Preisabschlägen bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln (die sogenannten Leitplanken), den Geltungsbeginn des gesetzlich festgelegten Erstattungsbetrags bei erstmaligem Inverkehrbringen eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff und den Kombinationsabschlag.

Durch diese Eingriffe sahen die Unternehmen ihre grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit verletzt sowie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der erste Senat des BVerfG erteilte dem nun eine Absage. Zum einen Teil seien die Beschwerden unzulässig. Hier sei einerseits die Wahrung der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerden nicht ausreichend dargelegt worden – die Unternehmen hätten sich zuerst an Fachgerichte wenden müssen – und zum anderen hätten sie keine ausreichend substantiierte Grundrechtsverletzung aufgezeigt.

Zum anderen Teil seien die Beschwerden unbegründet gewesen. Zwar gebe es in diesen Fällen tatsächlich Grundrechtseingriffe zu ihren Ungunsten. Diese seien aber gerechtfertigt. „Insbesondere sind sie angemessen, da das gesetzgeberisch angestrebte Gemeinwohlziel – die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung – in der vorzunehmenden Interessensabwägung jeweils überwiegt“, erklären die Richterinnen und Richter.

Unzulässig waren demnach die Beschwerden gegen die Verlängerung des Preismoratoriums bis Ende 2026 und gegen den Herstellerabschlag, also den gesetzlich vorgeschriebenen Rabatt, den alle Unternehmen abzuführen haben. Er war, begrenzt auf das Jahr 2023, von sieben auf zwölf Prozent angehoben worden.

Gleiches gilt für die Beschwerden gegen die sogenannten Leitplanken, also die stärkere Kopplung des Erstattungsbetrags an den Zusatznutzen eines Arzneimittels, gegen die Vorverlegung der Gültigkeit des Erstattungsbetrags vom dreizehnten auf den siebten Monat nach Markteinführung eines patentgeschützten Arzneimittels sowie gegen den Kombinationsabschlag.

Dieser zwanzigprozentige Abschlag auf den Abgabepreises wird fällig, wenn Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) benannten Kombination eingesetzt werden und für diese Kombination nicht mindestens ein beträchtlicher Zusatznutzen attestiert wurde.

Die Unternehmen hätten in diesen Fällen nicht ausreichend dargelegt, weshalb es ihnen nicht zumutbar gewesen sein soll, zuerst ein Schiedsverfahren eröffnen zu lassen und sich danach gegebenenfalls an Fachgerichte zu wenden, bevor sie vor das Verfassungsgericht ziehen.

Gemeinwohl wichtiger als Eingriff in Unternehmensrechte

Der Herstellerabschlag hingegen sei zwar durchaus ein Grundrechtseingriff, allerdings sei dieser durchaus erforderlich, „um die legitimen Gemeinwohlzwecke zu erreichen“, schreibt der erste Senat. „Ob noch andere, ebenfalls gleich wirksame Maßnahmen denkbar sind, hat das Bundesverfassungsgericht bei Kostendämpfungsmaßnahmen im Bereich des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu entscheiden.“

Zudem seien die Besonderheiten des GKV-Systems zu beachten, das in weiten Teilen nicht durch Marktkräfte gesteuert werde. Wenn sich die Unternehmen – so wie alle anderen Leistungserbringer – gegen Kostendämpfungsmaßnahmen richteten, würden sie sich damit also gegen staatliche Maßnahmen wenden, die nicht ihre eigene Tätigkeit und Leistung auf einem freien Markt betreffen würden.

Stattdessen gehe es vielmehr um ihre Beteiligung an dem umfassenden sozialen Leistungssystem der GKV, das aus Versichertenbeiträgen finanziert werde und für dessen Funktionsfähigkeit der Staat die Verantwortung trage. Deshalb würden Leistungserbringer in besonderem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen.

„Diese sind Nutznießer des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung, welches ihnen größere wirtschaftliche Sicherheit vermittelt als ein freies Konkurrenzsystem“, erklärten die Richter. „Das gilt insbesondere für die pharmazeutischen Unternehmer. Ihnen stehen mit den gesetzlichen Krankenkassen letztlich Nachfrager gegenüber, die ihren Versicherten zur Versorgung mit dem vom Vertragsarzt verordneten Arzneimittel verpflichtet sind.“

Auch das Argument der Unternehmen, wonach der Gesetzgeber die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten habe, weil die Maßnahme zu einer „Gefahr der Erdrosselung des betroffenen Wirtschaftszweigs“ führe, teilte das BVerfG nicht. Zwar seien die Einsparungen von rund 1,3 Milliarden Euro durch den Herstellerabschlag durchaus erheblich.

Aber nach bislang vorliegenden Evaluationsberichten gäbe es keine tatsächlichen Anzeichen für eine Instabilität der pharmazeutischen Industrie in Deutschland oder eine Gefährdung der Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich. Nicht zuletzt seien die Arzneimittelpreise in Deutschland im Schnitt höher als in anderen europäischen Ländern.

Die Verlängerung des Preismoratoriums wiederum bewirkte zwar einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit und sei sogar ein erheblicher bis schwerer Grundrechtseingriff. Aber auch dieser sei gerechtfertigt und angemessen.

Er stehe nämlich nicht außer Verhältnis zur Bedeutung und Dringlichkeit der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie auch bei der Herstellerabgabe sei zudem zu berücksichtigen, dass die Unternehmen von der finanziellen Stabilität der GKV selbst profitieren würden und der sozialpolitischen Gesetzgebung besonders unterworfen seien.

Unternehmen setzen auf Politik

Selbst wenn man alle zuvor genannten Maßnahmen zusammengefasst betrachte, ergebe sich keine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte der Pharmaunternehmen. Beim Ziel der finanziellen Stabilisierung der GKV handele es sich „um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel“, dessen Erreichung erheblich gefördert werde. Die pharmazeutischen Unternehmer als Nutznießer des Sachleistungssystems der GKV würden dabei in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung unterliegen.

Die Pharmaindustrie selbst setzt nun auf die Politik. „Wir sehen die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer weiterhin als verletzt an“, reagiert der Präsident des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, auf das Urteil.

Würde jeglicher Eingriff in die Grundrechte der Leistungserbringer aus Gründen einer möglichst kostenminimalen Finanzierung des Gesundheitswesens gerechtfertigt werden, seien Innovationen und Versorgungssicherheit langfristig in Gefahr.

„Es ist jetzt an der Politik, die Weichen vorausschauend zu stellen und einer Zukunftsbranche auch weiterhin Perspektiven in Deutschland zu eröffnen“, betonte Steutel. Erst wenn das Bundesverfassungsgericht in weiteren ausstehenden Fällen geurteilt habe, werde sich ein abschließendes juristisches Bild ergeben.

Auch der Verband Pharma Deutschland bewertet die Entscheidung „als falsches Signal für den Pharmastandort Deutschland“. Das Gericht habe „der Politik faktisch Carte blanche für weitreichende Preisvorgaben“ gegeben, „ohne strukturelle Ursachen der Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung in den Blick zu nehmen“.

„Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes werden die grundrechtliche Dimension der dauerhaften Eingriffe in die unternehmerische Freiheit und die Folgen für die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten aus unserer Sicht gravierend unterschätzt“, kritisiert Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann.

lau

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