Projekt zur Digitalisierung medizinischer Leitlinien aufgelegt

Berlin – Evidenzbasiertes, medizinisches Wissen muss künftig auch digital zur Verfügung gestellt werden. Dafür hat sich die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) im Vorfeld des Berliner Forums zum Thema Wissensmanagement ausgesprochen. Gerade die vergangenen Monate hätten gezeigt, wie wichtig fundierte wissenschaftliche Informationen auch in Onlineangeboten seien.
„Die Digitalisierung im Gesundheitswesen muss maßgeblich durch die medizinische Wissenschaft gestaltet werden“, sagte Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Darum habe die Arbeitsgemeinschaft eine digitale Agenda aufgesetzt und verfolge in diesem Rahmen zwei Projekte: Zum einen die Digitalisierung von Leitlinienwissen. Zum anderen die Qualitätssicherung von digitalen Gesundheitsanwendungen.
Hierfür werde aktuell ein strukturiertes Datenmodell entwickelt, um evidenzbasiertes Wissen austauschen und in die Breite tragen zu können. Ziel sei es, dieses Wissen in sämtliche Gesundheitsanwendungen – Arztinformationssysteme, Lernplattformen, Informationsportale und Apps – einfließen zu lassen. Darüber hinaus soll Ärzten im Praxisalltag ein schneller und unkomplizierter Zugang zu den Leitlinien ermöglicht werden.
„Leitlinien umfassen bis zu 400 Seiten – es sind digitale Bücher“, erläuterte Ina Kopp, Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi) Berlin. Wichtig sei daher, einfache Strukturen zu etablieren, die evidenzbasiertes Wissen im Alltag zugänglich machen. Der Blick ins europäische Ausland zeige, welche Möglichkeiten es gibt.
So sei in Finnland die elektronische Patientenakte bereits seit Jahren ein akzeptiertes Tool nicht nur für das Gesundheitsmanagement sondern auch für die Wissensvermittlung. Denn in der Patientenakte seien Empfehlungen und Leitlinienwissen hinterlegt – dies biete Patientinnen und Patienten eine Unterstützung in der Behandlungsentscheidung.
Dass die Digitalisierung zahlreiche Vorteile bietet, betonte auch Miriam Walther, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen Berlin (NAKOS). So fände neben dem schnellen Informationsaustausch auch eine stärkere Vernetzung statt, die gerade den Bereich Selbsthilfe für mehr Menschen öffnen könne. Es bestünde aber auch die Gefahr, Menschen auszuschließen, die über weniger technisches Know-how, Ausstattung oder finanzielle Mittel verfügten.
Wichtig sei daher, bei der Beratung und Entscheidung über digitale Strategien auch Patienten einzubeziehen. „So kann sichergestellt werden, dass die Interessen von Menschen mit Erkrankungen und Behinderungen berücksichtigt werden und es nicht zu Ausschlüssen kommt.“
Die AWMF plant, in vier bis fünf Jahren mit einem digitalen Leitlinienregister an den Start zu gehen. Bei der Umsetzung hat sich die Arbeitsgemeinschaft an bestehenden internationalen Modellen orientiert und diese auf ihre Tauglichkeit für den nationalen Einsatz geprüft.
Aktuell befinde man sich in der Umsetzungsphase, erste Lösungen stünden schon bereit: „Diese Startlösungen umfassen Templates für die einheitliche Erstellung von Leitlinien, die Option zur Erprobung eines bereits vorhandenen Portals für die digitale Leitlinienerstellung und – vor allem – das AWMF-Portal „Interessenerklärung Online“ zur digitalen Darlegung von Interessen und zum Umgang mit Interessenkonflikten, welches als Innovation auf nationaler und internationaler Ebene anzusehen ist“, erläutert Kopp. Begleitet wird das Projekt durch Task Forces, die beratend und supervidierend zur Seite stehen.
Im Rahmen des Berliner Forums am 11. Dezember 2020 werden Experten über den aktuellen Umsetzungsstand des Projekts sprechen. Es soll außerdem Akteure des Gesundheitswesens zusammenbringen und die Diskussion von Wissenschaft und Politik für die zukünftige Gestaltung der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen befördern, so Kopp. Denn nur über den gemeinsamen Dialog könnten digitale Lösungen entstehen, die sich am gesellschaftlichen Bedarf orientierten.
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