Ärzteschaft

Psychotherapeuten­tag: Scheitern der Ampel für psychisch kranke Menschen desaströs

  • Montag, 18. November 2024
/Quelle: BPtK, Foto: Christopher Peetz/Eventfotos Berlin
/Quelle: BPtK, Foto: Christopher Peetz/Eventfotos Berlin

Berlin – Das Hinauszögern der Gesetzgebung für psychisch kranke Menschen, die man in den vergangenen drei Jahren habe erleben müssen, geht mit dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition zulasten von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das sagte Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), vor der BPtK-Delegiertenversammlung, die am Wochenende in Berlin stattfand.

„Das ist fatal und das ist desaströs“, sagte Benecke. Man werde „gemeinsam diskutieren müssen, wie sich die ver­lorenen Jahre bestmöglich kompensieren lassen, damit die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkran­kungen auch zukünftig gewährleistet ist“.

Die Sicherung des psychotherapeutischen Nachwuchses spielt Benecke zufolge dabei eine zentrale Rolle. Wenn die Finanzierung der Weiterbildung für Absolventen der neuen Approbationsstudiengänge Psychotherapie nicht doch noch gelinge, werde der Versorgungsengpass groß werden.

„Wir suchen zusammen mit Gesundheitspolitikern nach Lösungen, damit dieser Versorgungsengpass in der ver­bleibenden Zeit der Bundesregierung abgewendet werden kann“, sagte sie. „Der Versorgungsbedarf steigt und steigt – wir schaffen es nicht mehr.“

Es dürfe nicht sein, dass alles über Bord geworfen werde, was im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) der gescheiterten Ampelregierung zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Menschen vorgesehen wurde.

Neben der Finanzierung der Weiterbildung gegen den drohenden Fachkräftemangel, sei die Reform der Bedarfs­planung zur Reduzierung der Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz besonders in ländlichen und struktur­schwachen Regionen dringend notwendig, so die BPtK-Präsidentin.

Für psychisch kranke Kinder und Jugendliche müsse es eine gesonderte Bedarfsplanung geben. Zur besseren Versorgung vulnerabler Patienten, wie Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, Suchterkrankungen oder Funktionseinschränkungen sollten Ermächtigungen für Psychotherapeuten auf den Weg gebracht werden. Eine entsprechende Resolution mit der die Politik aufgefordert wird, sich doch noch auf das GVSG zu einigen, verabschiedeten die Delegierten in Berlin.

Die Nachfrage nach Psychotherapie nimmt der BPtK zufolge ständig zu. Seit der Coronapandemie habe sich vor allem die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen verschlechtert. Psychische Belastungen seien aktuell auch bedingt durch Krisen wie den Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Nah-Ost Konflikt, wachsender Populismus extremer Parteien, die ständige Präsenz sozialer Medien und die Klimakrise, sagte Benecke.

Gezielte Steuerung von 
Kapazitäten erforderlich

Hoffnungen, dass das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz noch kommen könnte, zerstörte Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der als Redner zum 45. DPT geladen war. „Das GVSG ist an die Wand gefahren“, sagte er. „Es gibt aber - von dem Gesetz abgesehen - Stellschrauben zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker, an denen man nachsteuern kann und muss.“

Dies sei notwendig, weil die Prävalenz psychischer Erkrankungen ständig steige. „Wir haben es noch nicht mal ge­schafft, die bestehende Prävalenz zu versorgen. Die aktuelle Bedarfsplanungsrichtlinie ist weitgehend Makulatur“, räumte der G-BA-Vorsitzende ein und wies darauf hin, dass „die systematische Umgehung der Bedarfsplanung durch anteilige Sitze ein wesentliches Problem darstellt“. Zwischen Dezember 2020 und Dezember 2023 sei die Zahl der Praxen mit anteiligem Versorgungsauftrag, also halben Sitzen, um rund 5.000 angestiegen. „Diese Sitze, die ursprünglich zur Flexibilisierung der Versorgung gedacht waren, erbringen in der Praxis häufig nahezu das gleiche Leistungsvolumen wie Vollsitze“, erklärte Hecken. Dies habe dazu geführt, dass trotz eines deutlichen Kapazitätsausbaus die Wartezeiten nicht nennenswert gesenkt werden konnten.

„Eine gezielte Steuerung dieser Kapazitäten ist erforderlich, um schwer psychisch erkrankte Menschen besser zu versorgen – etwa durch spezifische Versorgungsaufträge“, betonte er. Um mehr Psychotherapeutensitze zu ermöglichen, wolle er auch darauf hinwirken, die Arztquote von 20 Prozent auf diese Sitze in einem ersten Schritt zu halbieren. „Es gibt einfach nicht genügend ärztliche Psychotherapeuten, die diese Sitze besetzen wollen – diese sollten dann für Psychologische Psychotherapeuten freigegeben werden“, sagte Hecken. Nichtsdestotrotz blieben im ländlichen Raum auch Psychotherapeutensitze unbesetzt, ähnlich wie bei den Hausärzten.

Kritik am geplanten
 QS-Verfahren

BPtK-Präsidentin Benecke machte erneut ihre Kritik an dem neuen datengestützten Qualitätssicherungsverfahren (QS-Verfahren) für die ambulante Psychotherapie deutlich, das mit einem Beschluss des G-BA seit dem 1. September in Kraft getreten ist. Ab 2025 soll das QS-Verfahren in Nordrhein-Westfalen (NRW) über sechs Jahre erprobt und durch das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) evaluiert werden.

„Die grundsätzliche Ausrichtung des QS-Verfahrens, die Rahmenbedingungen der Richtlinie, die Bereitstellung von aggregierten und anonymisierten Daten je Praxis mit jahrelangem Verzug – dieses QS-Verfahren kann keinen Nutzen entfalten.“ Im Gegenteil werde das „Bürokratiemonster“ eher negative Prozesse anstoßen und Zeit der Psychotherapeuten fressen, die der Versorgung fehle. Der 45. DPT verabschiedete deshalb eine Resolution mit der die Abschaffung des gesetzlichen Auftrags für das QS-Verfahren gefordert wird. „Keine Pseudo-Qualitätssicherung, keine zusätzliche Bürokratie“, lautet der Titel.

„Wir wurden mit Mängeln in dem Konzept des datengestützten QS-Verfahrens konfrontiert“, sagte der G-BA-Vorsitzende Hecken. Er biete an, dass das bestehende Verfahren zusätzlich zur Evaluation durch das IQTiG durch eine externe Evaluation begleitet werden könnte, um Schwachstellen zu identifizieren und zu beheben.

„Es nützt nichts, so ein QS-Verfahren gegen die Überzeu­gung der Profession durchzusetzen, es gibt aber keine Bereiche, die sich grundsätzlich einer Qualitätssicherung entziehen“, betonte er. Er forderte einen Gegenvorschlag der BPtK zu dem jetzt gewählten datengestützten Ansatz, der den spezifischen Anforderungen der psychotherapeutischen Versorgung möglicherweise besser gerecht werde.

Hecken für Finanzierung der Sprachmittlung durch die GKV

Weiter sprach sich der G-BA-Vorsitzende für eine Finanzierung der Sprachmittlung in der Psychotherapie durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aus. „Ohne Sprachmittelnde ist Therapie nicht möglich. Ich verstehe nicht, dass diese Notwendigkeit nicht bezahlt werden kann“, sagte er.

Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Stagnation in den GKV-Ausgaben für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten im Vergleich zu den steigenden Ausgaben für Arzneimittel. Die Finanzierung der Sprach­mittlung forderten die Delegierten ebenfalls in einer Resolution.

Bei der bereits in Kraft getretenen Komplexversorgung für schwer psychisch kranker Erwachsener in Netzver­bünden sieht der G-BA-Vorsitzende ebenfalls Änderungsbedarf. „Die KSV-Psych-Richtlinie ist zu kompliziert. Die funktioniert so nicht“, sagte er.

Bisher haben sich einer Analyse des G-BA zufolge nur 13 Netzverbünde in sechs Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gegründet, die aber auch teilweise schon vor der Richtlinie im Verbund tätig gewesen seien. Es sei kein neuer Netzverbund hinzugekommen.

Probleme bereiteten die Komplexität der Gründung der Netzverbünde. Zum Teil fehlten regional aber auch Ko­operationspartner, wie Krankenhäuser. „Wir stellen die verpflichtende Teilnahme von Krankenhäusern infrage“, sagte der G-BA-Vorsitzende.

Auch die Teamgröße von zehn Personen solle überdacht werden. Ihm zufolge sollten auf jeden Fall auch Psycho­therapeuten mit halben Zulassungen entgegen der jetzigen Richtlinienfassung an den Netzverbünden teilneh­men können.

Eingeladen zum 45. DPT war auch Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission Krankenhaus­versorgung, der über die Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung für psychisch Kranke sprach. Er verwies auf die Besonderheiten psychiatrischer und psychosomatischer Kliniken, die in Bezug auf die Flexibilisierung der Versorgung „Vorreiter“ seien.

Die Kliniken haben Bschor zufolge Psychiatrische Institutsambulanzen, Tageskliniken und können aufsuchende Behandlung, wie die stationsäquivalente Behandlung, anbieten. Die Finanzierung über ein Globalbudget oder Regionalbudget sei bereits iny 20 Modellprojekten positiv evaluiert worden. Sinnvoll ist nach Ansicht von Bschor die Erweiterung dieser fortschrittlichen Versorgung in den KV-Bereich.

Einige Delegierte des DPT forderten, dass auch Psychologische Psychotherapeuten PIA oder Tageskliniken leiten können sollten. Derzeit ist die Leitung Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie vorbehalten.

De facto übernähmen Psychotherapeuten sowieso schon Leitungen, weil Ärzte fehlten oder zu unerfahren seien, so die Argumentation. Unterschreiben müsse aber immer noch ein Arzt. Man sei bereit mehr Leistungen in der Psychiatrie zu übernehmen.

Der 45. Deutsche Psychotherapeutentag verabschiedet noch weitere Resolutionen.

PB

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung