Psychiater wollen mehr Prävention, Früherkennung, bessere Versorgung und Forschungsförderung

Berlin – Psychische Gesundheit müsse gerade in Krisenzeiten geschützt und gestärkt werden, und entsprechend Psychiatrie und Psychotherapie in Versorgung und Forschung von der Politik besser unterstützt werden. Das forderte Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im Rahmen des am Wochenende geendeten Jahreskongresses der Fachgesellschaft.
„Schon jetzt werden psychiatrische und psychotherapeutische Unterstützungsangebote stärker nachgefragt – ein weiterer Anstieg ist zu erwarten“, sagte der Leiter des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Eine Förderung der Resilienz sei entscheidend, um mit Krisen umgehen zu können und psychische Erkrankungen zu vermeiden. Präventive Angebote in Schulen und am Arbeitsplatz könnten helfen, die Resilienz zu stärken.
Zudem sei die Früherkennung von psychischen Erkrankungen wichtig, um zeitnah Therapieangebote in Anspruch nehmen zu können. „Mit Früherkennungsprogrammen, Mental-Health-First-Aid-Programmen, aber auch Gedächtnisambulanzen können wir für Angehörige unterschiedlicher Gruppen schnelle Unterstützung ermöglichen“, betonte Meyer-Lindenberg.
Ein Angebot zur Früherkennung psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen zwischen 15 und 28 Jahren haben Kinder- und Jugendpsychiater zusammen mit einer Beratungsstelle in Berlin aufgebaut: bei „Soulspace“ könnten junge Menschen in psychischen Krisen niedrigschwellig und bedarfsorientiert Hilfe finden, berichtete der Leiter des Präventionsprojekts, Andreas Bechdolf.
„Nicht nur ADHS, sondern auch Angsterkrankungen, Depressionen und Schizophrenie – etwa 70 Prozent aller psychischen Erkrankungen entwickeln sich vor dem 25. Lebensjahr“, berichtete der Leiter der Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Vivantes Klinikum Am Urban und im Friedrichshain in Berlin. Angebote für junge Menschen zur Früherkennung seien aber kaum vorhanden – in Deutschland sei Soulspace das einzige niedrigschwellige Angebot – würden aber dringend benötigt. In Australien beispielsweise gebe es sogar 160 entsprechende Angebote, betonte Bechdolf.
„Sind Menschen doch psychisch erkrankt, müssen sie zeitnah, bedarfsgerecht, koordiniert und gestuft behandelt werden“, sagte DGPPN-Präsident Meyer-Lindenberg. Besonders wichtig sei die Einführung einer regionalen Versorgungsverpflichtung für psychiatrische Krankenhäuser, die Flexibilisierung von Behandlungsangeboten dort und die Einführung von Globalbudgets für Kliniken, um solch flexible Behandlungen auch zu ermöglichen.
„Wir schlagen vor, dass psychiatrische Krankenhäuser Versorgungsverantwortung für die gesamte Population in ihrem Versorgungsgebiet übernehmen und dafür entsprechende finanzielle Mittel erhalten“, erläuterte Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Köln. Globalbudgets sollten zudem ermöglichen, dass die Kliniken flexibel darüber entscheiden könnten, welches Behandlungs-Setting und welche Intensität der Behandlung für die Patienten und Patienten am besten geeignet seien. Beispielsweise müssten Patienten aktuell im Rahmen der Stationsäquivalenten Behandlung (StÄB) täglich von den Behandlungsteams besucht werden, doch nicht jeder benötige die tägliche Versorgung zuhause.
Der künftigen Präsidentin der DGPPN zufolge fehle es in der ambulanten Versorgung an einer guten Steuerung. „Ein gerechteres System, das auch für schwer psychisch kranke Menschen besser zugänglich ist und sie besser bedarfsorientiert versorgt wäre notwendig“, betonte sie.
Meyer-Lindenberg mahnte schließlich noch die finanzielle Förderung der psychiatrischen Forschung an. „Die Förderung muss langfristig, nachhaltig und koordiniert zur Verfügung stehen“, sagte er. Nur so könnten auch langfristige Projekte, wie etwa eine aussagekräftige Längsschnittstudie zur Entwicklung psychischer Erkrankungen über die Lebensspanne durchgeführt werden. Die Einrichtung des Deutschen Zentrums für psychische Gesundheit (DZPG) in diesem Jahr sei ein wichtiger Schritt gewesen, doch noch sei das Zentrum nicht verstetigt. Das müsse unbedingt passieren, sagte der der DGPPN-Präsident, der auch einer der beiden Gründungssprechern des DZPG ist.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: