Querschnittlähmung: Elektroden auf der Haut bewegen Beine

Los Angeles – Auf die Haut geklebte Elektroden, die elektrische Impulse an das Rückenmark abgeben, haben fünf Patienten, die seit mehr als zwei Jahren querschnittgelähmt waren, zu Bewegungen der Beine verholfen, die einer Publikation im Journal of Neurotrauma (2015; doi: 10.1089/neu.2015.4008) zufolge teilweise vom Willen des Patienten gesteuert wurden.
Vor vier Jahren hatte der Neurophysiologe Reggie Edgerton von der Universität von Kalifornien in Los Angeles die Fachwelt erstmals mit den Reha-Ergebnissen eines 25-jährigen Mannes mit Querschnittlähmung beeindruckt. Der Patient war nach sieben Monaten Training (wenn auch nicht ganz ohne äußere Hilfe) wieder in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen.
In einer Hängeeinrichtung und mit Unterstützung der Helfer konnte er sogar einige Schritte auf einem Laufband absolvieren. Dies gelang dem Querschnittgelähmten immer dann, wenn ein epiduraler Neurostimulator eingeschaltet wurde. Die elektrische Stimulation hatte wahrscheinlich Gehreflexe, die auf der Rückenmarksebene verschaltet sind, aktiviert. Erstaunlich war aber, dass er die Bewegungen teilweise mit dem eigenen Willen steuern konnte. Edgerton vermutete damals, dass einige afferente (sprich sensorische) Nervenbahnen, die beim Unfall nicht zerstört worden waren, durch das Training in efferente, sprich motorische Bahnen umfunktioniert wurden.
Diesem Eindruck widersprachen allerdings die im letzten Jahr publizierten Ergebnisse an vier weiteren Patienten. Sie hatten ebenfalls gelernt, mit Hilfe des Rückenmarkstimulators eigene Bewegungen durchzuführen. Bei wenigstens zwei der Patienten lag jedoch nach Auskunft von Edgerton eine komplette Querschnittlähmung mit vollständigem Ausfall von Motorik und Sensibilität an den Beinen vor. Wie diese Menschen gelernt haben, willentliche Bewegungen durchzuführen, ist nach wie vor unklar.
Kürzlich hatte Edgerton zusammen mit Forschern des Pavlov Instituts in St. Petersburg zeigen können, dass die Muskelbewegungen auch durch Hautelektroden ausgelöst werden können. Erste Versuche waren an Gesunden durchgeführt worden. Jetzt stellt das Team klinische Ergebnisse an fünf Querschnittgelähmten vor. Die Männer trainierten einmal pro Woche für 45 Minuten mit Hilfe des Neurostimulators einfache Pendelbewegungen der Beine. Unmittelbar vor Beginn der Übungen wurden die Bewegungen passiv durchgeführt. Das Ziel war eine „Konditionierung“ der Bewegungsmuster auf Rückenmarksebene.
Tatsächlich lernten die Teilnehmer im Verlauf von 18 Wochen, die von dem Rückenmarkstimulator ausgelösten Pendelbewegungen zu verstärken. In den letzten vier Wochen der Übungen waren die Patienten mit dem Anxiolytikum Buspiron behandelt worden. Das Mittel hatte zuvor bei querschnittgelähmten Mäusen spontane Bewegungen der Hinterläufe „induziert“. Nach dem Ende der Studie konnten die Patienten die Pendelbewegungen auch ohne Unterstützung des Rückenmarkstimulators durchführen, nachdem sie mit Buspiron behandelt worden waren.
Die physiologischen Grundlagen der Bewegungen sind nicht bekannt. Edgerton vermutet, dass das Training „schlafende“ Verbindungen zum Gehirn aktiviert haben könnte. Wo sich diese befinden, ist aber unklar. Edgerton hat bereits eine neue Studie begonnen. Dort sollen die aktuellen Patienten auf den Stand der Patienten mit den epikutanen Neurostimulatoren gebracht werden. Sie sollen ebenfalls lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Nach den aktuell vorgestellten Videos dürfte dies allerdings noch ein weiter Weg sein.
Inwiefern die Neurostimulatoren in der Reha von Querschnittgelähmten eingesetzt werden könnten, ist offen. Eine Neurostimulation, die ohne eine Operation möglich ist, dürfte auf eine größere Akzeptanz stoßen als Implantate. Bisher haben andere Forscherteams die Ergebnisse von Edgerton nicht reproduziert. Gewisse Zweifel an den Ergebnissen erscheinen deshalb berechtigt.
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