Religiös motivierte Beschneidung von Jungen ist Straftat
Köln – In einem womöglich wegweisenden Urteil hat das Landgericht Köln die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Straftat bewertet. In der am Dienstag veröffentlichten Entscheidung verwies das Gericht unter anderem darauf, dass der Körper des Kindes durch die in Islam und Judentum verbreitete Beschneidung „dauerhaft und irreparabel verändert” werde. Scharfe Kritik an dem Urteil übte der Zentralrat der Juden. (Az. 151 Ns169/11)
Das Kölner Gericht hatte in zweiter Instanz über die Strafbarkeit eines Arztes zu entscheiden, der einen vierjährigen muslimischen Jungen beschnitten hatte. Die Richter befanden, die mit der Beschneidung einhergehene körperliche Veränderung des Kindes laufe dessen Interesse zuwider, „später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können“. Weiter heißt es in dem Urteil, auch sei das Erziehungsrecht der Eltern „nicht unzumutbar beeinträchtigt“, wenn sie abwarten müssten, ob sich das Kind später für eine Beschneidung als „sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam“ entscheide.
Dennoch gelangte das Gericht im vorliegenden Fall zu der Auffassung, dass der angeklagte Arzt freigesprochen werden muss: Der Mediziner habe sich in einem sogenannten Verbotsirrtum befunden. Dies bedeutet, dass ein Angeklagter ohne Schuld handelt, wenn ihm bei Tatbegehung die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun.
Der Passauer Strafrechtler Holm Putzke bezeichnete das Kölner Urteil als „für Ärzte enorm wichtig, weil diese jetzt zum ersten Mal Rechtssicherheit haben“. „Das Gericht hat sich – anders als viele Politiker – nicht von der Sorge abschrecken lassen, als antisemitisch und religionsfeindlich kritisiert zu werden“, sagte Putzke der Financial Times Deutschland vom Dienstag.
Der Zeitung zufolge stellte mit dem rechtskräftigen Kölner Urteil erstmals ein deutsches Gericht den religiösen Brauch der Beschneidung unter Strafe. Laut FTD werden in Deutschland jährlich mehrere tausend jüdische und muslimische Jungen auf Wunsch der Eltern beschnitten. Dabei hätten Ärzte über Jahrzehnte in einer juristischen Grauzone agiert, wenn sie Jungen aus religiösen Gründen beschnitten.
Bislang hätten Ärzte sich darauf berufen können, keine Kenntnis von der Strafbarkeit religiöser Beschneidungen gehabt zu haben, berichtete die Zeitung. Mit dem Kölner Urteil entfalle nun künftig die Möglichkeit, wegen eines solchen unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen zu werden.
Der Zentralrat der Juden kritisierte das Urteil als „beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“. Diese Rechtsprechung sei ein unerhörter und unsensibler Akt“, erklärte Zentralratspräsident Dieter Graumann in Frankfurt am Main. Die Beschneidung neugeborener Jungen sei fester Bestandteil der jüdischen Religion und werde seit Jahrtausenden weltweit praktiziert.
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