Politik

Ressourcen im Gesundheitswesen müssen ausbalanciert werden

  • Montag, 18. September 2017
/dpa
Die „Altenquotienten“ zeigen deutlich die Entwicklung in Deutschland an. /dpa

Biersdorf – Trotz des aktuellen Rekordüberschusses in Höhe von 26 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dürfe es keinen Stillstand bei der Weiter­entwicklung und Anpassung der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen geben. Das wurde bei den Biersdorfer Kranken­hausgesprächen deutlich.

Der Gesetzgeber und die Selbstverwaltung müssten Ungereimtheiten und System­brüche an den Sektorengrenzen zwischen ambulanten und stationären Versorgungs­notwendigkeiten überwinden. Interventionistische Kostendämpfungs­maßnahmen wie in den vergangenen Legis­laturperioden seien obsolet, die Ökonomie dürfe die Medizin nicht weiter dominieren. Das war das Credo von Jürgen Wasem, Inhaber eines Stiftungslehrstuhls für Medizin­management an der Universität Duisburg-Essen.

Immer mehr alte Menschen

Der Gesetzgeber müsse laut Wasem dafür sorgen, dass die knappen finanziellen und personellen Ressourcen im Gesundheitswesen ausbalanciert werden, sodass der medizinische Fortschritt und die demografischen Veränderungen – Überalterung der Bevölkerung und andere – nicht den Ausgabendruck im einkommensabhängigen Finanzierungssystem der GKV noch stärker als bisher erhöhen. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes und Berechnungen von Wasem ergeben sich in der GKV folgende „Altenquotienten“, das heißt, Anteile der über Sechzigjährigen im Verhältnis zu den 20- bis 59-Jährigen: 2015: 50,5 Prozent, 2030: 70,7 Prozent und 2060: 82,2 Prozent.

Etwas geringer sind die „Altenquotienten“ der über 67-Jährigen im Verhältnis zu den 20- bis 66-Jährigen in den Jahren 2015 bis 2060, und zwar: 2015: 29,7 Prozent, 2030: 39,6 Prozent und 2060: 52,1 Prozent. Ohne Berücksichtigung der ausgabentreibenden Effekte des medizinischen Fortschritts ergeben sich nach den Berechnungen von Wasem folgende Pro-Kopf-Ausgaben in der GKV in den nächsten 45 Jahren: 2015: 2.710 Euro, 2030: 2.894 Euro und 2060: 3.155 Euro jährlich. Das entspricht einem Wachstum zwischen 2015 und 2030 in einer Rate von 0,4 Prozent und in den Jahren 2030 bis 2060 in Höhe von 0,3 Prozent jährlich.

Bei einem Vergleich der Entwicklung der ausgabensteigernden Effekte und der Belas­tung der GKV-Finanzen durch die demografische Entwicklung und die Auswirkungen des medizinischen Fortschritts lässt sich feststellen, dass sich der medizinische Fort­schritt stärker kostentreibend auf die Krankenkassenfinanzen auswirkt als die Demo­grafiekomponente. Wird eine sich nur mäßig verringernde Bevölkerungszahl in den kommenden 45 Jahren unterstellt und der ausgabensteigernde Effekt des medizini­schen Fortschritts mit jährlich 0,3 Prozent angenommen, so ergeben sich folgende kumulative Beitragssatzeffekte: GKV-Beitrag 2015: 15,5 Prozent, 2030: 17,7 Prozent und 2060: 22,0 Prozent.

Versorgungsmängel verstärken sich

​Bei den heute geltenden Rahmenbedingungen und der zu erwartenden zunehmenden Multimorbidität der Bevölkerung werden die qualitativen und quantitativen Heraus­forderungen an das Gesundheitswesen und die Leistungsträger erheblich zunehmen. Zugleich werden sich wegen der sich verschlechternden Altersstruktur der Ärzteschaft und des sich verringernden Erwerbspotenzials am Arbeitsmarkt Gesundheit – Tarif­verträge, Teilzeitarbeit, Freistellung in der Familienphase und andere – erhebliche Versorgungslücken vor allem in ländlichen Regionen und in versorgungsnotwendigen Berufsfeldern abzeichnen.

Um die immer sichtbarer werdenden Reibungsverluste und Übergangsbrüche zwischen ambulantem und stationärem Sektor zu beheben und zu vermeiden, sollten ordnungs­politische Konsolidierungsprozesse rasch eingeleitet werden, so Wasem.

Den Bundesländern hielt Wasem ein Versagen bei ihren Einstandspflichten für die Vorhaltekosten der Krankenhäuser im Rahmen ihrer grundgesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben vor. So seien die Landeszuschüsse für Krankenhausinvestitionen von 3,6 Milliarden Euro im Jahr 1991 inzwischen auf rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr gesun­ken, was einer Verringerung um 24 Prozent und real (einschließlich der Inflationsrate) sogar um 48 Prozent bedeutet.

Neben den Bundesländern könnten in einer Reformoption für die Krankenhaus­finanzierung auch Bundesmittel und möglicherweise auch die Krankenkassen an den Klinikinvestitionskosten beteiligt werden. Dann müssten allerdings die bisher zäh verteidigten Kompetenzen und Planungshoheiten für die regionale Krankenhaus­planung neu geregelt werden. Die Krankenkassen und der Bund könnten bei einer finanziellen Beteiligung an den Klinikinvestitionskosten das stationäre Versorgungs­angebot entscheidend mitbestimmen und ihren Einfluss auf die Struktur und die Dimensionierung der teilstationären und stationären Versorgung sowie die (möglicher­weise stärker reduzierten) Kapazitäten geltend machen.

HC

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