Rote Linie überschritten: Warken bringt Ärzteschaft mit Apothekenreform gegen sich auf

Berlin – Apotheken sollen vermehrt Impfen, Screeningtests vornehmen und in bestimmten Fällen sogar verschreibungspflichtige Arzneimittel auch ohne ärztliche Verordnung abgeben dürfen. Mit diesen Plänen für eine Apothekenreform hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) die Ärzteschaft gegen sich aufgebracht, wie ein Schreiben an die Ministerin zeigt, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Man blicke „mit großer Sorge“ auf die Pläne aus dem Ministerium, „Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die einer ärztlichen Qualifikation zwingend bedürfen“, heißt es in dem Brief, den die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der Hausärztinnen- und Hausärzteverband, der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands, der Virchowbund, der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte unterzeichnet haben.
Aus ihrer Sicht überschreitet die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich „unkomplizierten Erkrankungen“ – „eine rote Linie“.
Das bewährte Vier-Augen-Prinzip – Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüften und gäben Arzneimittel ab – sei „ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung“, so die Ärzteorganisationen. „Wird dieses Prinzip aufgeweicht, drohen fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit.“
Sie weisen darauf hin, dass ein Apotheker am Tresen nicht zuverlässig erkennen könne, ob ein vermeintlich unkomplizierter Harnwegsinfekt nicht doch gerade einen komplizierten Verlauf nehme oder eine andere ernsthafte Erkrankung dahinterstecke. „Apothekerinnen und Apotheker verfügen nicht über die notwendige fachliche Qualifikation, eine solche Einschätzung vorzunehmen“, so die Ärzteschaft.
Die Vorstellung aus dem Ministerium, Arztpraxen würden dadurch entlastet, teilen die Ärzte nicht. Zum einen konterkarieren die Pläne dem Brief zufolge die Pläne für ein Primärarztsystem. Zum anderen entstünden Doppelstrukturen, die mehr Bürokratie als Entlastung schafften.
„Gerade chronisch kranke Menschen profitieren von kontinuierlicher ärztlicher Begleitung bei der Arzneimittelverordnung. Nur so lassen sich notwendige Therapieanpassungen vornehmen sowie Komplikationen und riskante Wechselwirkungen frühzeitig erkennen und die Patientensicherheit gewährleisten“, heißt es in dem Schreiben an die Ministerin.
Ähnliches gelte für die geplante Ausweitung der Impf- und Diagnostikleistungen in Apotheken. Die Ärzte betonten, dass Grippe- und Corona-Schutzimpfungen in Apotheken derzeit weder in relevantem Umfang angeboten noch nachgefragt seien.
Gleichzeitig würden Studien – sowie praktische Erfahrungen – „zeigen, dass Impfquoten vor allem durch ärztliche Koordination und Begleitung steigen und eben nicht durch das Schaffen zusätzlicher Impfstellen“. „Wenn alle verantwortlich sind, übernimmt schlussendlich keiner die Verantwortung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen drohen das ohnehin komplexe System weiter zu zersplittern, anstatt die Versorgung gezielt verbessern zu helfen“, kritisiert die Ärzteschaft.
Aus ärztlicher Sicht wird auch die Einführung von Früherkennungsuntersuchungen und Screeningtests in Apotheken mit großer Skepsis gesehen. „Derartige Angebote erzeugen das Risiko einer Vielzahl falsch-positiver und nicht aussagekräftiger Befunde mit dem Ergebnis großer Verunsicherung auf Patientenseite“, heißt es aus der Ärzteschaft.
Damit einher ginge ein erheblicher diagnostischer Nachbearbeitungsaufwand mit steigenden Kosten für das Gesundheitssystem und eine Belastung von wertvollen fachärztlichen Ressourcen. Die Ärzte stellen klar, dass eine verantwortungsvolle Ausweitung solcher Leistungen zwingend an den Nachweis geknüpft sein muss, dass die eingesetzten Verfahren einen klar belegten Patientennutzen haben sowie gesundheitsökonomisch sinnvoll sein muss.
„Nur wenn Evidenz und Effizienzsteigerung im Gesamtsystem gegeben sind, rechtfertigt dies einen breiten Einsatz solcher Tests. Bisher liegen wissenschaftliche Untersuchungen zu einer solchen Zweckmäßigkeit jedoch nicht vor“, schreiben die Ärzte.
Sie appellieren in dem Brief an Warken, die Pläne zu überdenken. „Der Wille zur Stärkung der Apotheken darf nicht dazu führen, dass Aufgaben an Apotheken ausgelagert werden, die originär ärztliche Qualifikationen erfordern“, mahnten sie.
Man rege daher eindringlich an, im Rahmen der geplanten Reformen zur Stärkung der Apotheken, von jeglichen Überlegungen einer Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne ärztliche Verordnung sowie einer Ausweitung von Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen in Apotheken Abstand zu nehmen.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wollte sich heute auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes nicht zu dem Brief und den Inhalten äußern. Politische Forderungen kommentiere das Ministerium nicht.
„Das Ziel der Apothekenreform ist es, vor allem Apotheken im ländlichen Raum, zu stärken, Bürokratie abzubauen, ihnen mehr Eigenverantwortung zu geben und die Wirtschaftlichkeit der Apotheken zu verbessern“, sagte ein Ministeriumssprecher. Das habe Ministerin Warken in Grundzügen auf dem Apothekertag dargelegt. Aus diesem Apothekenfahrplan werde dann im Ministerium ein Gesetzentwurf erarbeitet.
Die Ärzteschaft hat in dem Scheiben betont, dass es nachvollziehbar sei, dass das BMG Reformen zur Stärkung der Apotheken vorbereitet. Man unterstütze ausdrücklich Maßnahmen, die die wirtschaftliche Basis der Apotheken stabilisierten, die Fachkräftesicherung verbesserten und Bürokratie abbauten. „Eine Stärkung der ländlichen Apotheken, eine flexiblere Organisation der Notdienste sowie Entlastungen bei Retaxationen sind richtige und notwendige Schritte“, erklären die Ärztevertreter.
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