5 Fragen an...

„Die Politik attackiert uns kontinuierlich“

  • Montag, 23. Juni 2025

Leipzig – Die Arbeitszeiten von Ärzten an staatlichen Kliniken in Ungarn sollen laut dem dortigen Ärztekammerpräsidenten mit Kameras und Gesichtserkennungssoftware überwacht werden. Ein Gesetz über den Einsatz der Technologie sei nun verabschiedet worden, sagte der Psychiater Péter Álmos im Interview dem Deutschen Ärzteblatt. Er bat den ungarischen Staatspräsidenten Tamás Sulyok vor einigen Tagen darum, das Gesetz abzulehnen. Der Fall sei nur einer der Konflikte zwischen Kammer und Regierung.

Péter Álmos, Präsident der ungarischen Ärztekammer
Péter Álmos, Präsident der ungarischen ÄrztekammerMOK/Richter Gedeon Nyrt

5 Fragen an Péter Álmos, Präsident der ungarischen Ärztekammer

Herr Álmos, wie geht es Ärztinnen und Ärzten in Ungarn derzeit, haben Sie noch stark mit Abwanderung zu kämpfen?
Bis vor einigen Jahren war die Situation sehr kritisch. Viele Kolleginnen und Kollegen sind direkt nach Abschluss des Studiums aus Ungarn weggegangen. 2021 wurden die Gehälter allerdings deutlich erhöht, wofür wir uns als Kammer auch starkgemacht hatten. Seitdem verlassen weniger Ärzte Ungarn, aber unter dem Strich sind wir immer noch zu wenige.

Inzwischen haben wir vor allem ein Problem damit, dass Ärztinnen und Ärzte aus dem öffentlichen Sektor in den privaten wechseln, weil die Rahmenbedingungen in staatlichen Einrichtungen wie Kliniken unglaublich anstrengend geworden sind.

Das Neueste ist zum Beispiel, dass die Regierung dort am Eingang Kameras installieren lassen hat, um Ärztinnen und Ärzte zu überwachen. Der Einsatz sollte bereits Anfang Juni beginnen, wurde dann aber nochmal aufgeschoben – wir haben das rechtlich angefochten. Aber erst kürzlich wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das besagt, dass die Kameras tatsächlich eingesetzt werden sollen.

Wie wird dieser Schritt begründet?
Das offizielle Ziel ist die Kontrolle der Arbeitszeiten, mit Gesichtserkennung und Künstlicher Intelligenz (KI). Vereinzelt mag es ein Problem gewesen sein, dass Ärzte früher Feierabend gemacht haben als sie sollten – aber es gibt andere Wege als Kameraüberwachung mit KI, um Dienstbeginn und -ende zu dokumentieren.

Ich denke, eigentlich geht es um ein Signal an Ärztinnen und Ärzte, dass sie unter Kontrolle stehen und dass man ihnen misstraut. Der Schritt ist Teil des von der Regierung verbreiteten Narrativs, dass sie nicht genug arbeiten würden und schuld seien am Zustand unseres Gesundheitswesens.

Es gab in den vergangenen Monaten sogar von der Regierung finanzierte Kampagnen, die Falschinformationen über Ärztegehälter und Straftaten von Ärzten enthielten. Die Politik attackiert uns kontinuierlich. Dabei sollten wir auf den Plakatflächen eigentlich Aufrufe sehen, medizinische und pflegerische Berufe zu ergreifen, weil diese für die Gesellschaft wichtig sind und es einen Mangel gibt.

Warum ist die Kammer so sehr im Visier der Regierung?
Politiker in Regierungsämtern werfen uns vor, dass wir Teil der Opposition seien. Dabei entspricht das nicht den Tatsachen. Wir sind unabhängig und positionieren uns nicht parteipolitisch, auch unsere Mitglieder vertreten unterschiedliche politische Ansichten.

Aber durch unsere ärztliche Perspektive berühren manche Positionen natürlich auch die Politik, zum Beispiel wenn es um Medizinethik geht. Das Thema liegt in Ungarn im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums, denn 2023 wurden der Kammer Rechte in der Selbstverwaltung entzogen. Die Mitgliedschaft bei uns beispielsweise ist nicht mehr verpflichtend.

Uns stört insbesondere, dass es inzwischen keine Möglichkeit mehr zum Entzug der Approbation bei ethischen Verstößen gibt. Selbst Ärztinnen und Ärzte, die völlig unwissenschaftliche Ideen verbreiten, können weiter praktizieren, und das auch in anderen Ländern wie Deutschland.

Immerhin erleben wir bisher keine politische Einmischung in Themen wie Impfungen. Aber bei Populisten, die ihren Kurs stark an Umfrageergebnissen ausrichten, kann sich das jederzeit ändern.

Wie kam es, dass der Kammer Rechte entzogen wurden? 
Die Schwächung ist politisch begründet: Seit ihrer Gründung 1994 hat die Kammer immer wieder auf die massive Unterfinanzierung des ungarischen Gesundheitssystems hingewiesen. Ungarn ist das Land in Europa mit den geringsten Gesundheitsausgaben.

Durch unsere Kritik an den unzureichenden Versorgungsmöglichkeiten war das Verhältnis zur Regierung ohnehin sehr angespannt. 2023 kam es zur Eskalation, als die Regierung ein Gesetz erließ, das alle Hausärztinnen und -ärzte zu Nachtschichten verpflichtet.

Da wir in der Ärzteschaft ein recht hohes Durchschnittsalter haben, fanden wir das nicht vertretbar. Auch über 80-jährige Ärzte hätten solche Schichten übernehmen müssen. Wir appellierten daher an unsere Mitglieder, die Verträge nicht zu unterschreiben. Daraufhin wurden diese zum Verlassen der Kammer gezwungen.

Mehr als zwei Drittel von ihnen sind daraufhin freiwillig wieder eingetreten. Wir sind mit derzeit rund 32.000 Mitgliedern, von einst mehr als 40.000, immer noch eine starke Vertretung für unseren Berufsstand.

Sie waren im Mai zum ersten Mal beim Deutschen Ärztetag in Leipzig. Was hat Sie hier besonders interessiert?
Die Organisation der deutschen Selbstverwaltung und die Themen, die die Kolleginnen und Kollegen hier beschäftigen. Mir ist es außerdem wichtig, dass wir innerhalb Europas einheitlichere Standards im Gesundheitswesen bekommen.

Von Deutschland können wir jedenfalls für die Zukunft in Ungarn lernen. Im Moment haben wir bei uns allerdings noch eine völlig andere Situation.

ggr

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