5 Fragen an...

„Die Täter machen den eigenen Tod, die eigene Hoffnungslosigkeit zu einem Spektakel“

  • Dienstag, 11. März 2025

München – Jüngst häufen sich die Attentate mit einem Auto in Menschenmengen. Am Rosenmontag raste ein 40-jähriger Deutscher in eine Fußgängerzone in der Mannheimer Innenstadt. Am 13. Februar fuhr ein 24-jähriger Afghane in eine Verdi-Demonstration in München. Am 20. Dezember fuhr ein 50-jähriger aus Saudi-Arabien stammender Arzt in einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg. 

Diese schrecklichen Taten mit vielen Toten und Verletzten sind bedrohlich; die Angst vor weiteren ähnlichen Attentaten groß. Sicherheitsexperten warnen bereits seit längerem vor einer erhöhten Anschlagsgefahr. Das Deutsche Ärzteblatt sprach hierzu mit dem Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer.

Wolfgang Schmidbauer/ privat
Wolfgang Schmidbauer/ privat

5 Fragen an den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer aus München, der das Buch „Psychologie des Terrors. Warum junge Männer zu Attentätern werden“ 2009 veröffentlichte.

Herr Schmidbauer, abgesehen von den politischen Motiven/Dimensionen, lassen sich diese Taten auf psychologischer Ebene irgendwie erklären, was treibt die Täter dazu?
Es handelt sich um eine suizidale Geste, die sich als Reaktion auf einen Zusammenbruch des Selbstgefühls verstehen lässt. Die Aggression richtet sowohl gegen das eigene Ich wie gegen Personen, die als feindlich erlebt werden. Für in ihrem Selbstwerterleben beeinträchtigte Personen sind „glückliche“ Menschen grausame Gegner, da sie den eignen Schmerz nicht teilen.

In Deutschland waren Weihnachtsmärkte das Ziel, einmal eine Demonstration von Verdi, einmal eine Karnevalsveranstaltung. Zwei der Täter haben ihre Tat islamistisch begründet, aber ich denke, dass sie auch persönlich in einer verzweifelten Situation waren, zum Beispiel als gescheiterte, von Abschiebung bedrohte Asylbewerber, wie der Täter in München.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Täter immer Männer sind?
Ich denke, das hängt mit der bevorzugt von Männern gewählten Identifizierung mit Kraftmaschinen zusammen. Kleine Jungen rennen brummend los und behaupten „Ich bin ein Motorrad und fahre 200“, was wir von Mädchen seltener hören. Das Auto ist ein Ort der Intimität und der Isolation in einem. Es verspricht Geborgenheit und Machtsteigerung, aber es kann mitmenschliche Bindungen nicht ersetzen. Es bietet dem Selbstgefühl keinen verlässlichen Halt. Daher richtet sich eine verzweifelte Wut über die gescheiterten Erwartungen an den eigenen Weltbezug und gegen dieses Auto wie gegen die getöteten und verletzten Passanten – und letztlich gegen den Täter selbst, der durch seine Aktion auch das eigene Leben zerstört.

Welche Rolle spielt das Auto generell als Waffe?
Es ist seit dem Angriff auf die Twin Towers 2001 ein Signum des internationalen Terrorismus, die technischen Errungenschaften des Westens als Waffe zu missbrauchen. Autos sind gefährlicher als Messer, aber ebenso wenig zu kontrollieren, weil die Qualität als nützliches Werkzeug bei weitem überwiegt. Immerhin lassen sich Autos inzwischen so konstruieren, dass es nicht möglich ist, mit ihnen einen Menschen zu überfahren. Die dazu nötigen digitalen Programme gibt es längst; insofern wäre hier – anders als bei Messern oder Schlagwaffen – auch eine technische Lösung denkbar.

Attentate mit dem Auto als Waffe, sind in den letzten drei Monaten gehäuft aufgetreten, es gab sie aber auch schon zuvor. Gibt es so etwas wie einen Nachahmereffekt, wie man es in Bezug auf Suizide kennt („Werther-Effekt“)?
Auf jeden Fall. In der späten Moderne wird ein aggressiv getönter Narzissmus sozusagen salonfähig; Pionier war Muhammed Ali mit seinem „Ich bin der Größte!“ Den eigenen Tod, die eigene Hoffnungslosigkeit zu einem Spektakel zu machen, sich endlich die dem eigenen Ego zustehende Grandiosität durch ein Maximum an Aufmerksamkeit zu bestätigen, überrennt sozusagen Selbstkritik und ethische Einstellungen. Besonders tragisch ist das bei dem Täter von Magdeburg, der selbst Psychiater ist und dennoch zum Täter wurde, weil er sich in seinem politischen Kampf nicht genügend gewürdigt sah.  

Bei den Tätern spielten nach gegenwärtigen Erkenntnissen auch psychische Erkrankungen eine Rolle; sie waren zum Teil auch in Behandlung. Können Ärzte oder Psychotherapeuten grundsätzlich dazu beitragen, solche Taten zu verhindern, indem sie etwa bei Anschlagsplänen die Sicherheitsbehörden informieren?
Gewiss können Ärzte und Psychotherapeuten dazu beitragen, allerdings wäre es sehr kurzsichtig, das auf die Bereitschaft zu reduzieren, angesichts von konkreten Anschlagsplänen die Behörden zu informieren. Die viel wichtigeren Möglichkeiten sehe ich in einer Prophylaxe bei traumatisierten Geflüchteten, die viel mehr Unterstützung bräuchten, um in Europa eine positive Perspektive zu gewinnen.

Niedrigschwellige Psychotherapieangebote wären sicher ein wertvoller Beitrag, um gefährliche Entwicklungen zu verhindern. Ein anderer Schritt wäre eine bessere Ausbildung und personelle Ausstattung der Polizei, die viel häufiger als Psychotherapeuten Kontakt zu „Gefährdern“ hat, aber die Chancen der sogenannten „Gefährderansprache“ nicht über eine rein juristische Information hinaus differenziert nutzen kann.

Die besten therapeutischen Interventionen nutzen aber nichts, wenn die Betroffenen nicht aufgesucht werden. Traumatisierte, von der Gleichgültigkeit und Feindseligkeit Europas überzeugte Geflüchtete, brauchen aufsuchende Hilfe, sie kommen selten von sich aus auf den Gedanken, mit einem Psychologen zu sprechen. Eine Zusammenarbeit mit somatisch tätigen Ärzten und Sozialarbeitern könnte weiterhelfen.

PB

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