5 Fragen an...

„Durch die Rekrutierung von ausländischen Pflegekräften können wir 1.000 Stellen besetzen, die sonst unbesetzt geblieben wären“

  • Montag, 11. November 2024

Berlin – Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege nur noch von ausländischen Pflegekräften getragen, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor kurzem gezeigt hat. Viele Einrichtungen in Deutschland arbeiten mit Rekrutierungsagenturen im Ausland zusammen, um ausländische Pflegekräfte zu gewinnen.

Die Berliner Charité hat sich dazu entschlossen, selbst Pflegekräfte im Ausland zu rekrutieren. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erklärt der Leiter der Stabsstelle Integration Pflege der Charité, Nagi Salaz, welche Erfahrungen das Unternehmen dabei gemacht hat.

Nagi Salaz/Charité, Wiebke Peitz
Nagi Salaz/Charité, Wiebke Peitz

Fünf Fragen an Nagi Salaz, Leiter der Stabsstelle Integration Pflege der Charité

Warum hat sich die Charité dazu entschlossen, ausländische Pflegekräfte selbst zu rekrutieren?
Wir haben keine guten Erfahrungen mit Rekrutierungsagenturen gemacht. Manche Agenturen sind pleite gegangen. In anderen mussten die Bewerberinnen und Bewerber ihre Deutschkurse selbst bezahlen. Das wollten wir nicht.

Wir wollen die Pflegekräfte auch von Beginn an selbst kennenlernen und verstehen, welche Beweggründe sie haben, um nach Deutschland zu kommen. Und wir wollen sie von Anfang an auf ihrem Weg begleiten, um die Chance zu erhöhen, dass sie sich gut betreut fühlen und am Ende auch bei uns bleiben.

Wie gehen Sie dabei vor?
Wir rekrutieren unter anderem in der Türkei, in Tunesien, Brasilien, Usbekistan oder Vietnam. In diesen Ländern arbeiten wir mit Sprachschulen und Universitäten zusammen, die Bewerbungsgespräche organisieren, die wir dann selbst vor Ort führen. Dabei erfragen wir zum Beispiel, welche Ausbildungen die Bewerber absolviert haben, welche Berufserfahrung sie haben, aber auch, wie die Familie oder Partnerinnen und Partner zu einem möglichen Umzug nach Deutschland stehen. Auch das sind wichtige Parameter. Denn eine langfristige Bindung an Pflegekräfte aus dem Ausland wird schwierig, wenn zum Beispiel die Eltern mit einem Umzug nach Deutschland nicht einverstanden sind.

Entscheiden sich die Bewerber dafür, bei uns arbeiten zu wollen, absolvieren sie in ihrem Heimatland einen sechsmonatigen Deutschkurs, den wir – zusammen mit einem kleinen monatlichen Gehalt – finanzieren. In dem Kurs absolvieren sie zunächst das Sprachniveau B1. Später in Deutschland erweitern sie ihre Deutschkenntnisse auf das Niveau C1. Einmal im Monat verschaffen wir uns einen Überblick über die Lernfortschritte der Bewerber. Später beinhaltet die Ausbildung zudem Informationen über Deutschland und die Arbeit der Pflege in Deutschland. Etwa 15 bis 20 Prozent steigen in dieser Phase aus dem Programm aus. Die anderen kommen im Anschluss an den Deutschkurs nach Berlin.

Wie geht es danach weiter?
Für die erste Zeit bieten wir den Pflegekräften eine Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin an. Später unterstützen wir sie dabei, eine private Wohnung zu finden. Das ist allerdings nicht leicht. Bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben, können sie in unserem Wohnheim bleiben.

Wir integrieren die neuen Pflegekräfte dann in bestehende Teams in den unterschiedlichen Abteilungen. Das ist immer eine kleine Herausforderung. Gleichzeitig profitieren die Teams aber auch oft von dem Wissen und dem kulturellen Hintergrund der neuen Teammitglieder.

Bislang arbeiten etwa 400 Pflegende bei uns, die wir selbst rekrutiert haben. Weitere 600 absolvieren zurzeit noch die Deutschkurse in ihren Heimatländern. Wir werden durch dieses Programm also etwa 1.000 Pflegestellen besetzen können, die ansonsten vermutlich unbesetzt geblieben wären – mit allen Folgen für die Patientenversorgung.

Man liest häufig, dass Deutschland als Einwanderungsland für Pflegekräfte zunehmend unattraktiv wird: weil Pflegekräfte hier weniger Aufgaben übernehmen dürfen, zum Beispiel. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Bereich gemacht?
Wir hören von den Pflegekräften, die wir rekrutiert haben, dass sie in Deutschland zwar weniger spezifische Aufgaben ausführen dürfen, dass die Arbeit bei uns allerdings besser strukturiert ist. In der Türkei, zum Beispiel, ist die Stellenbeschreibung für die Pflege sehr dehnbar. Die Pflegenden können also zum Blutabnehmen eingesetzt werden, aber auch zum Putzen. Und da es in der Türkei einen Überschuss an Pflegekräften gibt, werden sie häufig auch zum Putzen eingesetzt. Das ist natürlich nicht attraktiv.

In deutschen Krankenhäusern können die Pflegekräfte in meist multikulturell zusammengesetzten Teams arbeiten, was gerade in einer so internationalen Stadt wie Berlin hilfreich ist, und dabei ihre Expertise in eine gemeinschaftlich getroffene Entscheidung mit einbringen. Zudem haben sie die Möglichkeit, sich weiterzubilden und dadurch sukzessive auch in Deutschland immer mehr Aufgaben zu übernehmen. Schließlich ist es für viele interessant, in einer Stadt wie Berlin zu leben und arbeiten.

Der Fachkräftemangel in der Pflege bleibt eines der großen Probleme des Gesundheitswesens. Was erwarten Sie von der Politik, um es zu lösen?
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus dem Jahr 2023 war schon einmal ein guter Schritt in die richtige Richtung. Es ermöglicht eine schnellere Einwanderung von qualifizierten Fachkräften. Mit der Chancenkarte, zum Beispiel, können nun auch Elternteile wie eine alleinstehende Mutter mit nach Deutschland einreisen, ohne die die Arbeitskraft nicht nach Deutschland gekommen wäre.

Vor allem würde ich mir mehr Entbürokratisierung wünschen. Das betrifft nicht nur die Anzahl der Formulare, die wir ausfüllen müssen, sondern auch die Zusammenarbeit der Behörden untereinander. Nicht mehr zeitgemäß ist auch, dass wir die Anträge nicht online ausfüllen können, sondern mehrere ausdruckte Anträge an verschiedene Behörden schicken müssen. Und wenn dann mal ein Kreuz falsch gesetzt, erhalten wir die Anträge kommentarlos zurück. Das müsste nicht so sein.

Wünschen würde ich mir auch, dass die Pflegenden in Deutschland mehr Kompetenzen erhalten – unter anderem, damit die ausländischen Pflegekräfte die Aufgaben ausführen können, für die sie ausgebildet sind.

fos

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