5 Fragen an...

Infektions­schutzgesetz: Fachgesellschaft sieht keine Alternative zur Investition in Fachpersonal

  • Freitag, 17. Juni 2011

Berlin – Der Deutsche Bundestag hat am 9. Juni das Infektions­schutz­änderungsgesetz beschlossen, um die Hygiene in Krankenhäusern und Arztpraxen zu verbessern und die Zahl der Todesfälle infolge sogenannter Krankenhauskeime zu verringern. Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie über seine Einschätzung des Gesetzes.

Winfried Kern
Winfried Kern

Fünf Fragen an Winfried Kern, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und Leiter der Infektiologie des Universitätsklinikums Freiburg

DÄ: Halten Sie die im Infektions­schutz­änderungsgesetz formulierten Maßnahmen für ausreichend, um den Vormarsch nosokomialer Infektionen im Krankenhaus zu stoppen?

Kern: Wenn die Kommission für Kranken­haushygiene und Infektionsprävention (KRINKO)  und die Kommission Antiinfektive, Resistenz und Therapie (ART) überzeugende und pragmatische Empfehlungen geben werden, so wie es im Gesetz vorgegeben ist, und wenn hierfür Personal zur Verfügung stehen wird, kann es gelingen, das Problem nosokomialer Infektionen und Antibiotikaresistenzen besser zu kontrollieren.

Es fehlt jedoch noch an einer klaren Zielvorgabe, an der die Mühen und Investitionen sich dann in einigen Jahren messen lassen müssen. Kliniken müssen ihrerseits Strukturen aufbauen, innerhalb derer man die Empfehlungen auch umsetzen kann.

Größere Kliniken brauchen vor Ort ein ansprechbares Team von Infektionsexperten aus den Bereichen Klinische Infektiologie, Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, falls möglich ergänzt durch Apotheker „auf Station“.  

DÄ: Was hätte das Gesetz Ihrer Ansicht nach noch enthalten müssen?

Kern: Das Problem nosokomialer Infektionen und Antibiotikaresistenzen ist etwas zu sehr auf Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) fokussiert. MRSA ist aber nicht unser Hauptproblem.

Die Vielfältigkeit der nosokomialen Infektionen (zum Beispiel Pneumonie, Kathetersepsis, Harnwegsinfektion), ihrer Erreger und des „Wirtes“, das heißt, des Patienten (zum Beispiel Kinder und ältere Menschen) erfordert unterschiedliche Bündel von Maßnahmen.

Die derzeit zu beobachtende Ausbreitung von Extended-Spectrum Betalactamase (ESBL)-bildenden Darmbakterien, die endogene Infektionen wie Cholangitis verursachen können, kann nicht mit dem „Rezept“ für MRSA blockiert werden.

Bei begrenzten Mitteln und zu wenig allgemeinem wie Fachpersonal wird man um eine Priorisierung nicht herumkommen. MRSA vorweg und gesetzlich hier als Hauptproblem definiert zu haben, ist etwas kurzsichtig. Die Ärzteschaft muss hierzu für Deutschland eine aktuelle Analyse unter Beteiligung von Klinikern, Epidemiologen und Ökonomen erarbeiten. Die beiden Kommissionen KRINKO und ART müssen diese Analyse wiederholt aktualisieren, hierzu brauchen sie valide Informationen – nicht aus den USA oder England, sondern aus unseren Krankenhäusern. 

DÄ: Was tun Sie in der Universität Freiburg, um sich vor Krankenhauskeimen zu schützen?

Kern: Das Universitätsklinikum Freiburg hat die Bereiche Infektiologie inklusive Pädiatrische Infektiologie, Diagnostische Mikrobiologie inklusive Virologie und Krankenhaushygiene in einem Zentrum Infektionsmedizin zusammengefasst, das zusammen mit Klinikern pragmatische Leitlinien entwickelt und verabschiedet.

Wir sind hier dabei, eine Liste von Indikatoren zusammenzustellen, um die Leistung an dieser Stelle messbar und transparent zu machen. Die entsprechenden Experten sind bereits seit Jahren vor Ort und ansprechbar, das neue Zentrum soll aber mehr als die Summe seiner Teile sein.

Wir in Freiburg – und übrigens auch Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie – sind der festen Überzeugung, dass wir neben Tumorzentren, Neurozentren und Traumazentren auch Infektionszentren an den Universitätskliniken und anderen Häusern der Maximalversorgung brauchen. Deutschland ist in dieser Beziehung noch ein Entwicklungsland.

DÄ: In dem Gesetz werden die Krankenhäuser dazu aufgefordert, das Auftreten von Keimen zu dokumentieren und sachgerechte Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes von Antibiotika zu ziehen. Wie können Krankenhäuser diesem Auftrag gerecht werden?

Kern: Eine sehr kluge Aufforderung! In der Tat sind die Fachgesellschaften dabei, hierzu Empfehlungen zu geben: Wie soll eine sogenannte Resistenzstatistik aussehen? Welches sind darin Indikatoren für eine Änderung der Antibiotika-„Politik“ am Hause oder in einer Region? Wenn diese Empfehlungen fertig sind, wird ART prüfen, ob sie in dieser Form unterstützt werden können, was ich hoffe. Die Krankenhäuser erhalten damit eine sehr wichtige Hilfestellung.

Die Daten sind andererseits notwendig und wertvoll, um die Gesamtstrategie auf Länder- und Bundesebene revidieren zu können. Es gibt bereits Systeme zur Datenerfassung, zum Beispiel das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS-System), die Antibiotikaresistenz-Surveillance oder auch jetzt die Antibiotikaverbrauchs-Surveillance für Krankenhäuser.

Es müssen mehr Kliniken kontinuierlich daran teilnehmen. Um diese Systeme herum entstehen Expertennetzwerke, die unersetzlich für den Erfahrungsaustausch sind. Antibiotikaeinsatz verlangt aber nicht nur Leitlinien und gute Diagnostik, sondern ist immer auch eine individuell zu prüfende Indikation. Auch hier können Infektiologen, die ja eine klinische Weiterbildung absolviert haben, helfen, wenn sie vor Ort am Krankenbett verfügbar sind.

DÄ: Krankenhäuser sollen auch bis spätestens 2016 die erforderliche personelle Ausstattung mit Hygienefachkräften, Krankenhaushygienikern und hygienebeauftragte Ärzten erzielen. Ist diese Aufgabe sowohl unter zeitlichen als auch finanziellen Aspekten zu bewältigen?

Kern: Die Zeit ist knapp. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es einen erheblichen Mangel an Fachpersonal gibt. Dieser kann nur über zusätzliche Fortbildungsinitiativen angegangen werden, die es ja durchaus gibt und die auch inhaltlich erfolgreich sind. Der Weg über die Weiterbildungsordnung ist zu lange.

Die Flexibilität der Weiterbildung im Bereich Infektionsmedizin ist nicht ausreichend. Flexible Lösungen müssen her, sie sind schneller und letztlich auch attraktiver. Kurzfristig wird man sich mit hygienebeauftragten Ärzten sowie mit im Bereich rationale Antibiotikaanwendung geschulten Ärzten und Apothekern behelfen können.

Die längerfristige Strategie hinsichtlich einer Bereitstellung von Fachpersonal muss besprochen werden. Die Investition in Fachpersonal muss erfolgen. Dazu gibt es keine Alternative. Verwaltungsdirektoren können hier ja manchmal zaubern – unter Umständen müssen Zuschläge für die Etablierung eines Infektionsteams oder eines Infektionszentrums im Sinne der Erfüllung eines wesentlichen Strukturindikators Anreize setzen.

fos

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