5 Fragen an...

„Junge Konsumierende wissen teils nicht einmal, dass sie Opioide mit Suchtpotenzial nehmen“

  • Montag, 3. Februar 2025

München – Der Drogenmarkt in Europa ist dynamisch und volatil. Veränderungen weltweit wie beispielsweise das Verbot des Schlafmohnanbaus in Afghanistan und eine potenziell folgende Heroinknappheit in Europa können Folgen in Bezug auf den Konsum insbesondere synthetischer Opioide haben.

Der „Trendspotter Synthetische Opioide“, der vom Institut für Therapieforschung (IFT) im Rahmen des National Early Warning System (NEWS) herausgegeben wird, fasst aktuelle Entwicklungen zusammen. Veränderungen zeigen sich etwa beim nicht medizinischen Konsum von opioidhaltigen Schmerzmitteln. Und die Stoffgruppe der hochpotenten Nitazene hat in Europa bereits zu Todesfällen geführt.

Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und NEWS am IFT in München /blende 11 Fotografen
Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und NEWS am IFT in München /blende 11 Fotografen

5 Fragen an Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungs­stelle für Drogen und Drogensucht und NEWS am IFT in München

Frau Neumeier, wie weit ist Deutschland von einer Opioidkrise wie in den USA noch entfernt?
Aktuell ziemlich weit. Das beginnt damit, dass hier, im Gegensatz zu den USA damals, nicht massenweise unsach­gemäß opioidhaltige Schmerzmittel verschrieben werden und somit keine „künstliche“ Nachfrage entsteht, die dann später vom Schwarzmarkt gedeckt werden würde. Darüber hinaus haben wir eine ganz anders aufgestellte Suchthilfe. Wir sehen auch keinen extremen Anstieg an Vergiftungen oder Todesfällen, den wir bei einer Opioid­krise sicher hätten.

Dennoch haben wir im Trendspotter mehrere Entwicklungen festgestellt, die dringend engmaschig beobachtet werden sollten und teilweise jetzt schon eine Reaktion erfordern. Dazu gehört eine Gruppe von jungen Personen, die niedrigpotente opioidhaltige Schmerzmittel konsumiert, allen voran Tilidin, und von denen manche in der Folge auf höherpotente Substanzen umsteigen.

Zudem wurden uns erstmalig aus Deutschland zwei Fälle gemeldet, in denen neue synthetische Opioide, soge­nannte Nitazene, anderen Stoffen beigesetzt wurden: einmal sechs Proben von Heroin aus einem Drogenkonsum­raum in Bremen und einmal etwa 1.000 gefälschte Oxycodon-Tabletten, die der Zoll sichergestellt hatte. Darüber hinaus haben zwei Landeskriminalämter von einem wahrscheinlichen Anstieg von Drogentodesfällen in Zu­sammenhang mit Nitazenen berichtet. Hier warten wir aber noch auf die Ergebnisse toxikologischer Analysen.

Was macht Nitazene so gefährlich und wie kommen sie plötzlich auf den Markt?
Nitazene sind hochpotent. Sie sind eine ganze Gruppe von Substanzen und gehören wiederum zur größeren Gruppe der NPS-Opioide, also neuer psychoaktiver Substanzen, die die Wirkung von Opioiden nachahmen sollen.

Aktuell sind über 80 verschiedene NPS-Opioide unter Beobachtung und es werden laufend mehr. Einige Jahre lang kamen vor allem von Fentanyl abgeleitete Verbindungen auf den Markt. Seit es Gesetzgebungen gibt, die dies einschränken, kommen die Nitazene.

Das erste Nitazen wurde 2019 an das europäische Warnsystem gemeldet, 2023 waren es sechs neue. NPS-Opio­ide haben oft eine sehr starke Wirkung, in einigen Fällen weit über hundertfach stärker als Heroin. Entsprechend wenig braucht man für eine Wirkeinheit. Das macht sie einerseits sehr schwierig zu dosieren und für Konsumie­rende sehr gefährlich. Andererseits für die organisierte Kriminalität sehr attraktiv. So kleine Mengen sind leichter zu schmuggeln.

Die opioidhalten Schmerzmittel Tilidin, Tramadol, und Oxycodon werden vor allem von jungen Menschen zwi­schen 16 und 25 Jahren missbräuchlich konsumiert. Was sind deren Motive und wo liegen die Gefahren?
Die berichteten Konsummotive waren breit. Es gibt Berichte, dass sie zur Entspannung eingesetzt werden, auch aus der Partyszene, dort eher zum „runterkommen“. Wir haben aber auch Berichte über Motive, die eher in den Bereich Selbstmedikation fallen – also Bekämpfung von Stress und Angst. Das Forschungsprojekt BOJE hat sich mit den Konsummotiven übrigens intensiv auseinandergesetzt.

Bedenklich ist die bei uns erstmalig berichtete Entwicklung aus Substitutionspraxen und Fachkliniken, dass manche dieser jungen Konsumierenden im Verlauf zu stärker wirksamen Opioiden gegriffen haben und nun in der Substitution und in Kliniken ankommen. Da sehen wir eine der Gefahren. Darüber hinaus entsteht eine hohe Gefahr für Überdosierungen durch den Bezug über den Schwarzmarkt und die nun auch für Deutschland belegte Beimischung von hochpotenten neuen Opioiden.

Wir sehen eindeutig einen Bedarf an besserer Aufklärung. In den Interviews wurde uns berichtet, dass die jungen Konsumierenden die Risiken ihres Konsums teils überhaupt nicht kennen und nicht einmal wissen, dass sie Opioide mit Suchtpotenzial konsumieren. Uns wurde aber auch berichtet, dass es an guten Materialien für die Prävention ebenso mangelt wie an finanziellen und personellen Mitteln.

Gefälschte Medikamente, die statt Benzodiazepinen oder Oxycodon, Fentanyl oder Nitazine enthalten, sind laut Trendspotter ein neues Phänomen. Was steckt dahinter?
Die Gewinnmargen sind hoch. Sie brauchen viel weniger, sagen wir Etonitazen, als Oxycodon, um gleich viele Wirkungseinheiten herzustellen und können hohe Gewinne erzielen. Die Herstellung wird auch nicht als beson­ders aufwendig oder teuer beschrieben.

Bei manchen Substanzen mag es schwieriger sein, die Vorläuferstoffe – die in vielen Fällen international kon­trolliert werden – zu erhalten. Da es bei auf dem Schwarzmarkt gehandelten Substanzen keine Qualitätskontrolle gibt, können die Hersteller dann auf andere Substanzen wechseln. Für Konsumierende ist das extrem gefährlich.

Das Phänomen ist übrigens nur in Deutschland neu belegt; wir haben diverse Meldungen aus Europa und der ganzen Welt zu gefälschten Tabletten und damit einhergehenden Vergiftungen. Aber auch ganz andere Substan­zen wurden schon gemeldet, zum Beispiel als Kokain verkauftes Pulver oder als Kush verkaufte Räuchermischun­gen – diese enthalten üblicherweise synthetische Cannabinoide – die mit synthetischen Opioiden versetzt waren. Man kann sie auf fast beliebige Trägerstoffe aufbringen.

Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um die Risiken des Konsums gefährlicher synthetischer Opioide zu reduzieren, und auch abhängigen Personen zu helfen?
Das Thema Prävention für eine junge, wenig informierte Gruppe, hatten wir schon. Das erscheint mir gerade sehr dringend. Für abhängig konsumierende Personen sind Schnelltests, beispielsweise in Drogenkonsumräumen ein Thema. Die sind nicht perfekt, aber die Fälle aus Bremen, wo Schnelltests zum Einsatz kamen und die Ergebnisse überwiegend laboranalytisch bestätigt wurden, zeigen ihr Potenzial.

Zum Thema gefälschte Tabletten wäre Drugchecking eine Option. Das muss allerdings so gut sein, dass es die neuen Opioide auch erkennt. Dann brauchen wir mehr Drogennotfalltrainings und eine viel höhere Verbreitung von Naloxon als Notfallmedikament.

Hier ist wichtig, zu bedenken, dass bei den neuen Opioiden teilweise mehrere Dosen benötigt werden, um die Überdosis zu neutralisieren. Für die langfristige Stabilisierung bleibt die Sicherstellung einer flächendeckenden Substitution entscheidend, gerade auch, wenn jetzt wieder mehr junge Leute die Substitutionsbehandlung beginnen.

Bislang waren ganz akute Krisen in Europa stets auf eine bestimmte Stadt beschränkt, wie wir es kürzlich in Dublin gesehen haben, mit einer plötzlichen Häufung an Überdosierungen. Auf solche Momente kann man sich vorbereiten, indem vor Ort enge Netzwerke zwischen den Notdiensten, Suchthilfe, Polizei usw. bestehen, die solche Häufungen überhaupt erst bemerken und dann schnell reagieren können. Ich finde es wichtig, das in Deutschland anzugehen, um zukünftig handlungsfähig zu sein.

PB

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