„Krankheiten halten sich dummerweise nicht an einen Dreimonatsrhythmus“
Berlin – Am 24. September ist Bundestagswahl. Das Deutsche Ärzteblatt hat die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien, Länderminister, Verbände und Ärzte aus der Patientenversorgung befragt, wie es mit der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislatur weitergehen sollte.

Fünf Fragen an Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes
DÄ: Welches gesundheitspolitische Thema muss in der nächsten Legislaturperiode als erstes angegangen werden? Warum?
Ulrich Weigeldt: Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode ja eine Vielzahl wichtiger Themen angepackt, die die Hausärzte unmittelbar betreffen. Daran muss jetzt angeknüpft werden, damit die Reformen sich nicht im Sand verlaufen. Da fällt mir beispielsweise der Masterplan Medizinstudium 2020 ein: Die Reform steht, jetzt muss auch die notwendige Finanzierung sichergestellt werden! Darüber hinaus muss die Digitalisierung natürlich oben auf die gesundheitspolitische Agenda. Wir brauchen eine digitale Patientenakte! Meine Hoffnung, dass dies mittelfristig gelingt, hält sich jedoch leider in Grenzen. Die Akteure der Selbstverwaltung haben sich ja hier bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ein weiteres Thema bleiben natürlich die Hausarztverträge, an denen inzwischen 4,5 Millionen Versicherte freiwillig teilnehmen. Hier sollte man darüber nachdenken, ob man nicht zukünftig die Patienten auch finanziell an den Einsparungen der Kassen beteiligt, beispielsweise durch Zuzahlungsbefreiungen. Die AOK Baden-Württemberg und die Bosch BKK setzten solche Modelle bereits um.
DÄ: Welche Partei beziehungsweise welches Parteienbündnis bietet aus Ihrer Sicht die besten Lösungen für die zukünftigen Probleme des Gesundheitssystems? Warum?
Weigeldt: Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen sind sehr gut selbst in der Lage, einen Blick in die Wahlprogramme zu werfen und sich eine Meinung zu bilden. Davon einmal abgesehen: Es gibt ja auch noch Themen außerhalb der Gesundheitspolitik, die für die Wahlentscheidung ausschlaggebend sein können. Die Welt endet ja nicht an der Praxistür.
DÄ: Welche aktuellen Positionen der Parteien gefährden die Versorgungsqualität im deutschen Gesundheitssystem?
Weigeldt: Grundsätzlich gibt es ja einen relativ breiten Konsens, dass eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung notwendig ist. Die Frage ist nur, wie das erreicht werden soll und natürlich auch, mit wie viel Nachdruck es verfolgt wird. Fatal wäre natürlich, wenn die Fortschritte der letzten Jahre verwässert werden würden. Wir brauchen natürlich auch zukünftig eine weitere Stärkung der hausärztlichen Nachwuchsarbeit, ein faires Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivvertrag und müssen bei der Digitalisierung endlich zu unseren europäischen Nachbarn aufschließen.
DÄ: Wie müssten die Rahmenbedingungen ärztlicher/psychotherapeutischer Tätigkeit verbessert werden?
Weigeldt: Was die Arbeit in den Hausarztpraxen nach wie vor enorm belastet, ist die Bürokratie, die eher immer weiter zu- als abnimmt. Hier tun sich die Kassen immer mehr als die Bürokratieverursacher Nummer eins hervor. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Hausärzte zu einem starren Quartalsdenken gezwungen werden, beispielsweise bei der Chronikerdefinition. Krankheiten halten sich nur dummerweise nicht an einen Dreimonatsrhythmus. In den Hausarztverträgen sind die Ärzte hier deutlich freier, im Kollektivvertrag ist die Situation jedoch unverändert. All das kostet viel Zeit, die am Ende für die Patientenversorgung fehlt.
DÄ: Was wollen Sie für Ihre Mitglieder in der kommenden Legislaturperiode erreichen?
Weigeldt: Für uns wird das Thema „Kompetenzen“ in der nächsten Zeit eine hohe Priorität haben. Wir erleben immer wieder, dass versucht wird, das hausärztliche Aufgabenspektrum einzuschränken, beispielsweise in dem Bereich der Palliativmedizin oder der Geriatrie. Das treibt die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen um, denn das ist nichts anderes als der Versuch, den Hausarztberuf Stück für Stück auszuhöhlen. Hier werden wir uns mit aller Kraft wehren. Der demografische Wandel und der medizinische Fortschritt führen dazu, dass eher wieder mehr Verantwortung in den Hausarztpraxen gebündelt werden muss, nicht weniger! Übrigens: Am Ende wird es gar nicht möglich sein, eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung ohne die Hausärzte sicherzustellen. Sie sind ja zum Beispiel die einzigen, die ihre Patienten auch zu Hause betreuen.
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