5 Fragen an...

„Oft liegt es auch nicht nur am Geld, sondern an der Wertschätzung“

  • Samstag, 2. März 2024

Berlin – Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor einer Insolvenzwelle der Krankenhäuser und wirft Bundesgesund­heitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, zu wenig dagegen zu tun. Dieser verweist auf den Transformationfonds, den er kürzlich angekündigt hat. Was aber bedeutet eine Insolvenz für ein Krankenhaus und vor allem für seine Mitarbeiter? Dazu hat das Deutsche Ärzteblatt die Rechtsanwältin Simone Wernicke befragt.

Simone Wernecke /Michael Kleinespel
Simone Wernecke /Michael Kleinespel

5 Fragen an Simone Wernicke, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei K&L Gates LLP

Ist es für Sie ein Unterschied, ob Sie eine Insolvenz eines Industrie­unternehmens betreuen oder die eines Krankenhauses?
Es ist schon ein großer Unterschied. Man muss wissen, wie ein Krankenhaus sich finanziert, die Interessenslage ist viel komplexer, ebenso die Regulatorik. Zudem ist es hochpolitisch. Wir kennen alle die Schlagzeilen in den Medien, wenn ein Haus schließen soll. Das unterscheidet sich von einem Produktionsbetrieb aus der Metallindustrie.

Dann haben Krankenhäuser verschiedene Träger. Bei einem Haus in kirchlicher Trägerschaft gelten zum Beispiel andere Arbeitsbedingun­gen, die dann bei einer potenziellen Übernahme zumindest in einigen Teilen nicht in den eigenen Betrieb passen würden oder schwer ver­einbar sind.

Hinzu kommt die Frage der betrieblichen Altersversorgung, die im kirchlichen Bereich zum Beispiel relativ teuer ist. Diese Fragen haben sie bei einem normalen privaten Wirtschaftsunternehmen in der Re­gel nicht, oder nicht in diesem Ausmaß. Diese Rahmenbedingungen können durchaus die Chancen schmälern, Investo­ren zu bekommen.

Darüber hinaus haben Krankenhäuser auch eine ähnliche Problem­lage wie viele Mittelständler aus der Wirt­schaft, nämlich einen hohen Investitionsrückstau. Der Punkt Personal ist bei der Insolvenz eines Krankenhau­ses tendenziell noch höher einzuschätzen, als in anderen Branchen. Im Krankenhaus haben wir die soge­nannten „Leistungserbringer“, diese bilden das Schlüsselpersonal.

Von deren Bereitschaft, weiter mitzuarbeiten und das Krankenhaus zu sanieren, hängt fast alles ab. Wenn sie zum Beispiel von einem kleinen Haus ausgehen mit circa 200 Mitarbeiter von denen zehn Ärztinnen und Ärzte direkt abgeworben werden und zwei in Rente gehen, dann ist das Insolvenzverfahren direkt infrage gestellt.

Sie können dann eigentlich nur noch schließen. Dann ist die gesamte Belegschaft betroffen. Darum ist es immens wichtig, dass das Personal motiviert an der Sanierung mitarbeitet, dass alle zusammenhalten und bereit sind, sich da einzubringen.

Es gibt zwei Verfahrensarten von Insolvenzen, wie sehen die aus?
Es gibt das sogenannte Regelverfahren, das ist das Insolvenzverfahren im klassischen Sinne. Das Insolvenz­gericht bestellt einen externen Insolvenzverwalter, der die volle Verfügungsmacht erhält. Damit tritt er auch in die Arbeitgeberstellung ein und wird dann in Abstimmung mit den Gläubigern entscheiden, wie es weiter­geht. Das ist ein transparentes Verfahren, was die Sanierung allerdings nicht einfacher macht.

Beim Eigenverwaltungsverfahren stellt die betreuende Kanzlei dem bisherigen Management einen insolvenz­erfahrenen Sanierungsgeschäftsführer zur Seite. Als Dritter ist ein sogenannter Sachwalter beteiligt, der das Verfahren begleitet und die Aufsicht führt.

Die Geschäftsführung bleibt hier also in der Regel im Amt und es wird noch jemand dazu bestellt, der die insolvenzrechtlichen Regularien kennt, um auch nach außen zu dokumentieren, dass man Fortführungsaus­sichten hat, also sanieren möchte. Im Regelverfahren ist das ungewiss, da kann es auch gut sein, dass Sie schließen müssen.

Wenn die Geschäftsführung im Amt bleibt, ist es meist auch einfacher, das Personal zu motivieren. Dieses weiß, woran es ist, genauso, wie die Dienstleister, die dann gegebenenfalls eher Verträge verlängern als bei externen Personen und auf die Fortführung vertrauen. Daher ist das Eigenverwaltungsverfahren für Krankenhäuser in vielen Fällen sinnvoller.

Einfach ist es dennoch nicht, denn sie müssen die Fortführung auch als realistisch abbilden können, wenn Sie den Insolvenzantrag stellen. Eine schlechte Perspektive kommt dann zustande, wenn bei ohnehin zurückge­henden Patientenzahlen auch noch das Personal signalisiert, dass es eigentlich gar nicht mehr weiterarbeiten möchte, weil es schon Angebote von anderen Häusern aus der Umgebung hat.

Sie haben in beiden Verfahrensarten in der Regel ein Zeitfenster von ungefähr drei Monaten, in der sie die Verfahrenseröffnung vorbereiten, das nennt man dann das vorläufige Insolvenzverfahren. In dieser Zeit spielt die Agentur für Arbeit eine wichtige Rolle, weil diese in der Zeit der vorläufigen Insolvenz die Löhne und Gehälter übernimmt.

Das entlastet die Liquidität. Denn zum Insolvenzverfahren kommt es häufig in dem Moment, in dem man sieht, dass man die Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlen kann. Dann muss auch entschieden werden, ob man ins Regelverfahren oder in die Eigenverwaltung gehen möchte.

Wie das Insolvenzgericht das sieht und entscheidet, ist unterschiedlich und hängt auch mit den individuellen Erfahrungen zusammen, die das Gericht gemacht hat.

Wie muss man sich den Ablauf eines Eigenverwaltungsverfahrens vorstellen und wie werden die Mitarbeiter informiert?
Wir erhalten eine Anfrage häufig über eine Unternehmensberatung, die sich um die Zahlen kümmert. Wenn ein Insolvenztatbestand – also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – besteht, bereiten wir dann für das Unternehmen einen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht vor.

Dieses fasst dann den Beschluss, dass zunächst das vorläufige Insolvenzverfahren angeordnet wird, entweder als Regelverfahren oder in Eigenverwaltung. Dann informiert man die Belegschaft, dass ein Insolvenzantrag gestellt worden ist, um weiterhin Löhne und Gehälter zahlen und andere Verbindlichkeiten bedienen zu können.

Wichtig ist, dass man deutlich macht, dass man das Krankenhaus sanieren und fortführen will. Die Rechtslage ist sehr komplex, denn die Mitarbeiter bekommen Insolvenzgeld, das über eine Bank vorfinanziert wird. Und dafür müssen Abtretungserklärungen unterschrieben werden. All das müssen sie erläutern.

Die Höhe des Gehalts bleibt in dieser Phase identisch?
In der Regel entspricht es dem bisherigen Nettoverdienst, allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Im Insolvenzverfahren gilt im Übrigen das Entstehungsprinzip. Das heißt, die Mitarbeiter bekommen das, was sie in dem Zeitraum des vorläufigen Verfahrens – wir nennen das Insolvenzgeldzeitraum – erwirtschaften, auch ausgezahlt. Leistungen, die vor dem Zeitraum erbracht wurden, wie Überstunden, werden gekappt. Diese werden zu Insolvenzforderungen.

Solche Zäsuren in einem Insolvenzverfahren müssen Sie den Mitarbeitern gut erklären. Dass der Geschäftsbetrieb weiterläuft, dass sie ihr Geld bekommen und, dass es nicht sofort zu Kündigungen kommt. Sie müssen ihnen die Angst, dass sie keinen Lohn mehr bekommen und oder vielleicht gleich die Kündigung in der Hand halten, nehmen.

Das ist weder in der Eigenverwaltung noch im Regelverfahren so. Die Löhne sind in den allermeisten Fällen für zwei bis drei Monate gesichert. In dieser Zeit werden, wie eben beschrieben, Investoren gesucht und die Fortführungsaussichten bewertet.

Ändert sich in diesem Zeitraum etwas am Kündigungsrecht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Nein, in diesem vorläufigen Zeitraum nicht. Darum ist eine gute Kommunikation so wichtig: Wir sind in einer vorläufigen Insolvenz, da ändert sich zunächst sehr wenig. Ansonsten kommt es schnell dazu, dass die Mitar­bei­ter um Aufhebungsverträge bitten und das Abwerben von den Kliniken im Umland losgeht.

Nur wenn der Betrieb des Krankenhauses weiter gewährleistet ist, kann man um Investoren werben. Erst dann kommt die formelle Insolvenzeröffnung. Dann gelten die Regelungen nach der Insolvenzordnung, das heißt kürzere Kündigungsfristen. Darum muss man immer wieder betonen, wie wichtig es ist, das Personal zu moti­vieren, um eine Fortführungsmöglichkeit zu behalten.

Oft liegt es auch nicht nur am Geld, sondern an der Wertschätzung. Man merkt im Umgang mit den Mitarbei­tern oft, dass diese fehlt. Wir hatten in einem Fall zum Beispiel überlegt, Halteprämien an die Mitarbeiter zu zahlen. Da wurde uns von den Mitarbeitern gesagt, dass das Geld nicht immer der ausschlaggebende Faktor sei.

Uns fehlt die Wertschätzung, die Kommunikation und die Transparenz, hieß es dann. Das ist nachvollziehbar, weil die Situation für die Belegschaft eine vollkommen neue ist. Man muss unbedingt die komplexen juris­tischen Zusammenhänge verständlich erklären. Dies ist die Voraussetzung, damit die Mitarbeiter bleiben.

mis/bee

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung