5 Fragen an...

Regionale Unterschiede: Bertelsmann bietet Faktencheck

  • Mittwoch, 28. September 2011

Berlin /Gütersloh – Die Bertelsmann Stiftung will Bürger dabei unterstützen zu hinterfragen, welche gesundheitlichen Leistungen ihrem Bedarf entsprechen und wie die Versorgung besser zu gestalten wäre. Bereits Anfang des Jahres hat sie deshalb die „Initiative für gute Gesundheitsversorgung“ ins Leben gerufen. Erster Themenschwerpunkt sind unerwünschte regionale Varianten in der Gesundheitsversorgung, die es in vielen Ländern gibt. Am Mittwoch findet zu diesem Schwerpunkt eine Tagung in Berlin statt, die – anders als die geplanten weiteren Schwerpunkte – einen Überblick geben soll.

Kernpunkte der Initiative sollen regelmäßig erscheinende „Faktenchecks Gesundheit“ sein. Jeder davon soll die regionalen Versorgungsunterschiede zu einem bestimmten Aspekt behandeln. Ein wissenschaftlicher Autor jedes „Faktenchecks“ soll dabei als „Themenpate“ Inhalte und Aussagen für Laien verständlich in der Öffentlichkeit vertreten. Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, im Interview zu überraschenden Ergebnissen, Vorbildern im Ausland und möglichen Kooperationen. 

Brigitte Mohn /dapd
Brigitte Mohn /dapd

Fünf Fragen an Brigitte Mohn

DÄ: Frau Mohn, der erste „Faktencheck“ dient dem Überblick über regionale Unterschiede in der Versorgung in Deutschland.  Welche Ergebnisse haben Sie besonders überrascht?

Mohn: Mich hat das große Ausmaß an regionalen Variationen über viele Themen hinweg überrascht.  Nehmen Sie zum Beispiel Tonsillektomien, die vollständige Entfernung der Gaumenmandeln. Im Landkreis mit den meisten Operationen liegt die Wahrscheinlichkeit für Kinder und Jugendliche, die Gaumenmandeln entfernt zu bekommen, um mehr als das Achtfache höher als im Landkreis mit den wenigsten Operationen.  

Bei der Analyse waren keine durchgängigen Muster zu erkennen, in welchen Regionen den Kindern besonders häufig oder besonders selten die Mandeln entfernt werden. Ein möglicher Anreiz für eine großzügigere Indikationsstellung ist dem „Faktencheck“ zufolge darin zu sehen, dass vor allem in kleineren HNO-Abteilungen von Krankenhäusern ein nennenswerter Teil des Operationsaufkommens auf Tonsillektomien entfällt.

DÄ: Welchen Aspekten des Themas müsste man sich Ihrer Meinung nach besonders intensiv widmen?

Mohn: Wir wissen bisher viel zu wenig darüber, wie die Entscheidung für eine Operation in Deutschland zustande kommt. Lagen dem Patienten alle wichtigen Informationen über die Behandlungsalternativen und deren jeweilige Vor- und Nachteile vor? Hat der Arzt dem Patienten diese Informationen zur Verfügung gestellt und ihn ausreichend in die Entscheidungsfindung mit einbezogen? Das sind Fragen, die mich umtreiben.

DÄ: Was halten Sie von der Internet-Plattform der Kassenärztlichen Bundesvereinigung  www.versorgungsatlas.de, die dazu beitragen soll, relevante Daten zu regionalen Versorgungsunterschieden zusammenzutragen und die Diskussion zu fördern?

Mohn: Ich finde die Plattform der KBV spannend und hoffe, dass wir in Zukunft Ergebnisse austauschen und auf beiden Webseiten darstellen können. Die Bertelsmann Stiftung hat allerdings den Anspruch, immer auch die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dazu müssen die Inhalte laiengerecht aufgearbeitet werden.

DÄ: Von wem kann man über das Thema regionale Versorgungsunterschiede etwas lernen?

Mohn: In den USA hat man sich des Themas der unerwünschten regionalen Variationen bereits vor Jahren angenommen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der Dartmouth Atlas of Healthcare. Verschiedene Auswertungen dafür haben immer wieder gezeigt, dass in den USA Regionen mit hohen Ausgaben vielfach nicht eine überdurchschnittliche, sondern einer mittelmäßige Versorgungsqualität aufweisen.

Auch in den Niederlanden sowie in Großbritannien setzt man sich bereits seit einiger Zeit damit auseinander. Lernen können wir aber auch von der Datenverfügbarkeit und -transparenz in anderen Ländern: Was die Versorgungsforschung angeht, hinkt Deutschland aufgrund mangelnder öffentlich verfügbarer Daten hinterher.

DÄ: Im Rahmen der Initiative für gute Gesundheitsversorgung wollen Sie Bürger stärker unterstützen, sich mit ihren Versorgungsbedürfnissen und den Versorgungsstrukturen auseinanderzusetzen. Was könnte sich in ein, zwei Jahren vielleicht bereits geändert haben?

Mohn: Je mehr wir uns mit der Thematik auseinander gesetzt haben, desto mehr mussten wir feststellen, dass komplexe Zusammenhänge, eine unklare Datenlage und unterschiedliche Interessen notwendigen Veränderungen im Wege stehen. Die Tatsache, dass der Paragraf 303 SGB V im Rahmen des Versorgungsstrukturgesetztes geändert werden soll, bietet Gelegenheit, die Transparenz im Gesundheitswesen durch einen erleichterten Zugang zu relevanten Daten über die Versorgung und ihre Qualität zu verbessern.

Das begrüßen wir. Darüber hinaus hoffen wir, dass alle Beteiligten an der Weiterentwicklung von Leitlinien intensiv weiter arbeiten, auch, um diese in Richtung Patientenleitlinien weiterzuentwickeln. Dies wäre ein wichtiger und notwendiger Schritt hin zu mehr evidenzbasierten Entscheidungshilfen für Patienten.

Rie

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