5 Fragen an...

„Wir müssen uns auf die Langstrecke einstellen“

  • Montag, 16. Juni 2025

Leipzig – Im Umgang mit der neuen US-Regierung setzt die dortige Ärzteorganisation AMA (American Medical Association) auf gemeinsame Ziele statt auf Spaltung. Man wolle sich mit Geduld und Fakten Gehör zu verschaffen, sagte AMA-Präsident Bruce Scott dem Deutschen Ärzteblatt am Rande des Deutschen Ärztetages in Leipzig Ende Mai. Es war der erste Besuch des HNO-Spezialisten in Deutschland.

5 Fragen an Bruce Scott, Präsident der American Medical Association

Bruce Scott, Präsident der American Medical Associaton (AMA) /AMA
Bruce Scott, Präsident der American Medical Associaton (AMA) /AMAAMA

Was bedeutet die neue US-Regierung für die Ärzteschaft?
Wir haben jetzt seit wenigen Monaten eine neue Regierung. Nach einem Regierungswechsel kann es immer tiefgreifende Veränderungen geben – da ist dieses Jahr keine Ausnahme. Es ist eine sehr andere Regierung mit einem sehr anderen Ansatz. Es gibt einige Dinge, bei denen wir ihr zustimmen, und darauf versuchen wir uns zu fokussieren.

Die Regierung will sich auf chronische Erkrankungen, Ernährung und Kindergesundheit konzentrieren – da können wir nur unterstützen. Bei anderen Themen, bei denen wir uns nicht einig sind, versuchen wir, mit Informationen weiterzukommen. Impfstoffe sind ein Beispiel. Wir wissen, dass sie das beste Mittel zur Vorbeugung von Infektionskrankheiten darstellen. Über die Zeit haben wir damit bereits Hunderttausende Leben gerettet und Krankheiten wie Pocken ausgerottet.

Jetzt haben wir bei uns im Land zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder einen großen Masernausbruch. Während der Coronapandemie sind Impfstoffe zunehmend infrage gestellt und kritisiert worden – ich denke, weil es das erste Mal war, dass es Druck auf die ganze Bevölkerung gab, sich eine Impfung auf Basis einer neuen Methode verabreichen zu lassen. Das hat viele Fragen aufgeworfen, und das hat nicht aufgehört.

Leider trifft die neue Regierung Aussagen, die bei Patienten noch mehr Fragen aufwerfen. Kürzlich hat Minister Kennedy immerhin offen gesagt, dass die Menschen keine medizinischen Ratschläge von ihm annehmen sollen, sondern von ihrem Arzt. Dem können wir nur zustimmen.

Über die Kürzungen der Forschung sind wir besorgt. Wir sehen radikale Veränderungen und haben teilweise das Gefühl, dass nicht mit genug Augenmaß gehandelt wird. Grundsätzlich sind wir aber auch dafür, dass Forschungsgelder nicht missbraucht werden und dass Mittel für Projekte genutzt werden, die auch wirklich einen Unterschied im Leben von Patientinnen und Patienten machen. Dafür setzen wir uns ein.

Inwieweit ist ein Dialog mit der neuen Regierung möglich?
Wir versuchen, Verbindungen aufzubauen und wollen in den Dialog treten. Die Voraussetzung dafür ist gegenseitiger Respekt. Ich hatte die ein oder andere Gelegenheit zum Gespräch und habe versucht, mich auf die großen Themen zu fokussieren, bei denen wir einer Meinung sind, anstatt die Person oder eine ihrer Aussagen anzugreifen.

In Behörden wie den CDC und der FDA gab es aus verschiedenen Gründen einen beträchtlichen Austausch des Personals. Das heißt, wir müssen neue Kontakte etablieren. Mit dem personellen Wandel geht auch eine gewisse Sorge einher, wir wollen schließlich ein starkes CDC und eine starke FDA. Medikamente müssen weiterhin sicher sein, ebenso wie Lebensmittel. Das ist uns wichtig.

Von Deutschland aus wirkt es manchmal so, als gebe es in der Medizin und Wissenschaft nicht allzu viel Protest gegen die neue Regierung. Täuscht das?
Bei uns gibt es jeden Tag Schlagzeilen darüber, dass Leute der Regierung widersprechen. In Washington D.C. wird jeden Tag protestiert. Das hängt aber viel mit der Reaktion der US-Regierung auf Konflikte wie in der Ukraine und in Gaza zusammen.

Die Patienten sind besorgt, wie es mit Medicaid (Anm. d. R.: die Krankenversicherung für viele ärmere Menschen) weitergeht und ob es Leistungskürzungen geben wird. Es gibt also Proteste. Der Ansatz der AMA ist aber nicht aktivistisch: kein offener Protest.

Wir wollen vermittelnd sein. Um sich Gehör zu verschaffen, muss man nicht unbedingt sehr laut sein. Denn das gibt einem zwar kurzfristig ein gutes Gefühl und man bekommt öffentliche Aufmerksamkeit. Aber das verfliegt schnell – und morgen gibt es wieder neue Schlagzeilen. Jetzt sind gerade einmal fünf Monate vergangen, aber es liegt ein vierjähriger Prozess vor uns. Wir müssen uns auf die Langstrecke einstellen.

Sehen Sie Parallelen zwischen den Themen, über die das deutsche Ärzteparlament spricht, und den Diskussionen im Berufsstand in den Vereinigten Staaten?
Ja, unbedingt. Viele der Themen sind universell. Wir teilen die Sorgen über die Vergütung unserer Arbeit, die ausufernde Bürokratie und die Künstliche Intelligenz (KI). Das sind auch die drei großen Baustellen, die wir bei der AMA derzeit haben. Wobei wir statt von KI oft von Augmented Intelligence sprechen.

Über das Potenzial, das die Technologie hat, um Bürokratie abzubauen, sind viele Ärzte in den USA zwar begeistert – gleichzeitig machen sie sich aber Sorgen, ob KI in ihrem Arbeitsalltag falsche Empfehlungen geben wird und sie dann am Ende verklagt werden. Die Frage nach der Vergütung stellt sich auch hier. Denn früher hat man Anrufe von Patienten gratis beantwortet, heutzutage sind es schon Massen von E-Mails. Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich jetzt: Wird KI noch zu einer weiteren zusätzlichen Pflichtaufgabe, für die wir auch nicht bezahlt werden?

An den beruflichen Stress sind Ärztinnen und Ärzte gewöhnt. Zum Beispiel bei einem Fehler im OP, der schwerwiegende Folgen für Patientinnen und Patienten hat. Jetzt kommt noch finanzieller Stress hinzu. Denn unsere Vergütung ist in Zeiten der Inflation nicht mehr auskömmlich. Man fragt sich: Wird meine Praxis überleben? Kann ich mein Personal bezahlen? Wie erledige ich all meine Computerarbeit heute Nacht? Werde ich verklagt?

Inwieweit kämpfen Sie mit Fachkräftemangel?
Wir erwarten, dass in den USA in zehn Jahren mehr als 80.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen werden. Wir haben aktuell schon Engpässe, etwa in der Primärversorgung und im Bereich der psychischen Gesundheit. Zum Teil liegt das daran, dass Ärzte frühzeitig in den Ruhestand gehen beziehungsweise aus dem Beruf ausscheiden, zum Teil auch an der alternden Gesellschaft. Bei uns ist in etwa jeder zweite Arzt über 55 Jahre alt.

Wir haben vor allem Sorge um die die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte in den USA, die bereits während der Coronapandemie stark gelitten hat. Mehr als 60 Prozent von ihnen zeigten damals Anzeichen von Burnout.

Inzwischen ist diese Zahl gesunken. Aber immer noch fühlt sich fast jeder Zweite ausgebrannt und überlegt, vielleicht aufzuhören. Umfragen zufolge liegt dies nicht nur an der Vergütung, sondern auch an der Frustration über zu viel Bürokratie und Auseinandersetzungen mit Versicherungen. Da geht es zum Beispiel darum, ob die Kosten für ärztlich empfohlene OPs und Medikation auch abgedeckt sind.

Wir haben zudem Engpässe bei Praxispersonal und in der Krankenpflege, auch weil Menschen in andere Branchen abwandern, wo sie mehr verdienen. Angesichts der Inflation und den hohen Kosten für Lebensmittel ist das verständlich. Letztlich kämpfen alle damit, Stellen zu besetzen.

Die Hoffnung ist, dass KI uns in diesen Fällen helfen könnte. Aber gleichzeitig befürchten wir, dass Versicherungsunternehmen diese Werkzeuge auf unheilvolle Weise nutzen, zum Beispiel um mehr Anträge auf Kostenübernahme abzulehnen und um die Expertise von Ärztinnen und Ärzten zu hinterfragen. Ich denke, das ist die „Brave New World“ – aufregend und beängstigend zugleich.

ggr

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