Ärzte ohne Grenzen: Gerettete an Bord der „Ocean Viking“ können in Malta an Land gehen

Berlin – Die 356 Männer, Frauen und Kinder an Bord des Rettungsschiffes „Ocean Viking“ dürfen in Malta an Land gehen. Das Schiff, das von den Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranée gemeinsam betrieben wird, hatte nach insgesamt vier Rettungseinsätzen im Mittelmeer fast zwei Wochen lang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens gewartet.
Die Landung in Malta wird ermöglicht, weil sich Frankreich, Deutschland, Irland, Portugal, Luxemburg und Rumänien bereit erklärt haben, die Geflüchteten aufzunehmen.
Zwar zeigten sich die Hilfsorganisationen erleichtert darüber, dass die Ungewissheit für die Menschen an Bord der „Ocean Viking“ jetzt vorüber sei. Sie forderten zugleich ein Ende der Einzelfallentscheidungen. Es könne nicht sein, dass die Staaten der Europäischen Union (EU) nach jedem Rettungseinsatz neu darüber diskutierten, was mit den Geretteten geschehen solle.
Es müsse ein nachhaltiges und geordnetes System zur Ausschiffung Geretteter geschaffen werden, das deren Rechte schütze. „Niemand darf auf See sterben“, sagte Jana Ciernioch von SOS Mediterranée Deutschland heute vor Journalisten in Berlin. „Seenotrettung ist ein Gebot der Menschlichkeit und im Seerecht verankert.“
Die EU-Staaten müssen Rettungskapazitäten bereitstellen
Die Hilfsorganisationen appellierten an die EU-Staaten, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ausreichend Such- und Rettungskapazitäten im Mittelmeer bereitzustellen. „Wir sind da, weil sich die EU-Staaten ihrer Verantwortung entziehen“, kritisierte Ciernioch.
Die Situation sei so nicht mehr hinnehmbar, erklärte auch Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. Auch die Bundesregierung sei hier in der Pflicht, für langfristige Lösungen zu sorgen. Diese seien allerdings noch nicht in Sicht.
„Die Signale aus der Politik sind sehr widersprüchlich“, sagte Westphal. Zwar hätten einzelne Politiker aus Deutschland die Wiederaufnahme der EU-Operation Sophia gefordert, die im März dieses Jahres ausgesetzt wurde. Das sei allerdings nicht in erster Linie ein Seenotrettungsprogramm, sondern eine Operation zur Schleuserbekämpfung gewesen, ergänzte Ciernioch. „Wir brauchen Schiffe, die entsendet werden, um aktiv nach Schiffbrüchigen zu suchen.“
Zuvor hatten Mitarbeiter der beiden Hilfsorganisationen per Video und Telefon die Situation an Bord der „Ocean Viking“ geschildert. Die Leiterin des medizinischen Teams, Stephanie – sie wollte wegen drohender Anfeindungen in den sozialen Medien ihren Nachnamen nicht nennen –, berichtete von vielen auf der Flucht traumatisierten Menschen, die in libyschen Internierungslagern Folter und sexuelle Gewalt erlitten hätten.
Nach zwei Wochen der Ungewissheit an Bord eines engen Schiffes machten sich Angst und Frustration breit. Benzin, Essen und Trinkwasser reichten noch für fünf Tage, ergänzte SOS-Mediterranée-Koordinator Max Avis, der per Telefon aus Marseille zugeschaltet war: „Die Menschen hier brauchen Klarheit und Sicherheit.“
Angesichts der desolaten Lage der Migranten in libyschen Internierungslagern forderten die Hilfsorganisationen auch das Ende von Zwangsrückführungen Geflüchteter nach Libyen. Sie würden dort in willkürliche und unmenschliche Haft genommen.
Außerdem müsse es aufhören, dass gegen Nichtregierungsorganisationen Strafen verhängt würden, weil sie versuchten, Menschenleben zu retten. Die Organisationen schlössen eine Lücke, weil die EU-Staaten nicht angemessen auf die Flüchtlingskrise im Mittelmeer reagierten. „Wir werden nicht danebenstehen und den Menschen beim Ertrinken zusehen“, sagte Ciernioch.
Derweil erklärte Frankreich, es werde 150 Flüchtlinge von der „Ocean Viking" aufnehmen. Von der Bundesregierung gab es zunächst keine konkrete Zahl. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies auf die noch laufenden Gespräche mit der EU-Kommission über die Verteilung der Menschen.
Deutschland habe ein Angebot unterbreitet. Es sei wie auch in der Vergangenheit bereit, im Rahmen einer Lösung „in gemeinsamer europäischer Verantwortung und Solidarität“ seinen Beitrag zu leisten.
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