Brustimplantatskandal: EuGH lässt Schmerzensgeldfrage offen

Luxemburg – Im Skandal um minderwertige Brustimplantate müssen betroffene Frauen weiter um Schmerzensgeldzahlungen bangen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) widersprach heute in weiten Teilen der Argumentation vieler Klägerinnen, die vom TÜV Rheinland Schadenersatz fordern.
Gleichzeitig stellten die Luxemburger Richter fest, dass Prüfstellen wie der TÜV unter bestimmten Bedingungen von nationalen Gerichten für haftbar befunden werden können. Das war bislang strittig gewesen. Es ist auch an nationalen Gerichten über mögliche Zahlungen zu entscheiden.
TÜV Rheinland zufrieden mit dem Urteil
Sowohl Vertreter klagender Frauen als auch der TÜV Rheinland selbst werteten die EuGH-Entscheidung positiv. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Urteil und sehen uns in den entscheidenden Punkten bestätigt“, teilte der TÜV Rheinland mit.
Der Prüfverein hatte das Qualitätssicherungssystem des französischen Implantat-Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) zertifiziert und überwacht. Dabei hatte er nach eigenen Angaben nie Hinweise darauf gefunden, dass über Jahre billiges Industriesilikon in die Kissen gefüllt worden war.
Der Anwalt Christian Zierhut, der fast 100 betroffene Frauen in Deutschland vor Gericht vertritt, betonte: „Grundsätzlich ist die Tür der Haftung jetzt offen.“
Eine Frau aus Nordrhein-Westfalen, die sich ihre undichten PIP-Implantate 2012 nach neun Jahren entfernen ließ und in Frankreich gegen den TÜV klagt, zeigte sich enttäuscht. „Ich hätte mir gewünscht, dass der TÜV zur Rechenschaft gezogen wird“, sagte sie.
Prüfstellen müssen Hinweisen nachgehen
In dem Urteil der Luxemburger Richter heißt es, dass Prüfstellen wie der TÜV nicht grundsätzlich verpflichtet sind, Medizinprodukte wie Implantate selbst zu prüfen oder unangekündigte Inspektionen bei den Herstellern vorzunehmen (Rechtssache C-219/15). Dem TÜV Rheinland war in Dutzenden Verfahren vorgeworfen worden, solche Maßnahmen bei PIP nicht ergriffen zu haben.
Die EU-Richter urteilten, dass ein Institut wie der TÜV Rheinland nur dann „alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen“ muss, wenn Hinweise vorliegen, dass ein Medizinprodukt die vorgeschriebenen Anforderungen nicht erfüllt. Patientenanwalt Zierhut sagte: „Jetzt muss man beweisen, dass es da Hinweise gab.“
Beim TÜV Rheinland hieß es, man sei zuversichtlich, dass die Gerichte in den einzelnen EU-Staaten auch weiter feststellen würden, dass der TÜV Rheinland seine Aufgaben stets verantwortungsvoll wahrgenommen habe. Bislang wurde der Verein in Deutschland im Zuge des PIP-Skandals nach eigenen Angaben noch nie schuldig gesprochen.
20.000 Frauen in Frankreich und Deutschland betroffen
Hintergrund des Verfahrens am EuGH war die Klage einer Frau vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sie hatte ihre PIP-Brustimplantate auf ärztlichen Rat entfernen lassen und fordert vom TÜV Rheinland 40.000 Euro Schmerzensgeld. Ihr Vorwurf vor Gericht: Mit überraschenden Kontrollen in den PIP-Betriebsstellen und Überprüfungen der Implantate hätte der TÜV Rheinland den Pfusch erkennen können.
Weltweit ließen sich Hunderttausende Frauen die Implantate einsetzen. Nachdem der Skandal im März 2010 durch die zuständige französische Behörde aufgedeckt wurde, ließen sich viele von ihnen die Kissen wieder entnehmen. Allein in Deutschland und Frankreich waren es etwa 20.000 Frauen.
In Frankreich wurde der TÜV Rheinland im Januar zu Schadenersatzzahlung in Höhe von 60 Millionen Euro verurteilt. Er legte Rechtsmittel ein.
Liese fordert unangemeldete Kontrollen
Angesichts des Urteils forderte Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP – Christdemokraten, Änderungen des EU-Rechts. „Das EUGH-Urteil zu fehlerhaften Brustimplantaten zeigt, wie dringend es ist, dass das europäische Recht klargestellt wird“, sagte er.
Hersteller von sensiblen Medizinprodukten müssten in Zukunft unbedingt von unangemeldeten Kontrollen überwacht werden, damit sich solche Skandale nicht wiederholen. Über eine entsprechende Verschärfung haben sich die Verhandlungsführer von Europäischem Parlament, Ministerrat und Kommission bereits verständigt. Im April wird das Plenum des Europäischen Parlaments über die Vorlage abstimmen. „Es darf sich nicht wiederholen, dass Patienten aufgrund von Schlamperei und Betrug in eine so gefährliche Lage kommen“, erklärte Liese.
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