Erste Flüchtlinge beziehen provisorisches Lager auf Lesbos

Insel Lesbos – Vier Tage nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria haben die ersten Migranten auf der Insel Lesbos ein neues provisorisches Zeltlager bezogen. Nach Behördenangaben von gestern wurden rund 300 Asylsuchende in dem neuen Lager aufgenommen. Hunderte weitere aber wollen nicht mehr auf Lesbos bleiben und verweigern den Gang in das neue Lager.
Nach teils gewaltsamen Protesten am Vortag demonstrierten sie gestern erneut für ihre Verlegung in andere EU-Staaten.
Das neue Zeltlager wurde auf einem ehemaligen Schießplatz in Kara Tepe errichtet. Gestern warteten davor rund 20 Asylsuchende auf Aufnahme, nachdem sie tagelang im Freien campieren mussten. Einem bereits in Kara Tepe untergebrachten Kongolesen zufolge verbietet die Polizei den Insassen, das Lager wieder zu verlassen. Journalisten wurde der Zugang verwehrt.
Die Behörden sprachen von einer begrenzten Ausgangssperre, mit der sie eine Verbreitung des Coronavirus auf der Insel verhindern wollen. Nach Einschätzung von Einwanderungsminister Notis Mitarachi könnten sich inzwischen bis zu 200 Asylsuchende angesteckt haben.
Das vollkommen überfüllte alte Lager Moria, in dem viele Flüchtlinge teilweise seit Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen festsaßen, war bei Bränden am Dienstag und Mittwoch fast völlig zerstört worden. Rund 11.500 Menschen wurden obdachlos, darunter 4.000 Kinder.
Der griechischen Nachrichtenagentur ANA zufolge wurden die Feuer am Dienstag nach Protesten einiger Bewohner des Lagers gelegt, die nach positiven Coronatests unter Quarantäne gestellt werden sollten. Die Behörden leiteten Ermittlungen ein.
Einwanderungsminister Mitarachi zeigte sich zuversichtlich, dass das für rund 3.000 Bewohner ausgelegte neue Lager binnen fünf Tagen fertiggestellt und bezogen sein wird. Doch viele Asylsuchende befürchten einen noch schrecklicheren Lageralltag als in Moria. Nach dem langen vergeblichen Warten in Moria auf ihren Asylbescheid ist ihre Geduld am Ende.
Vorgestern hatten hunderte Migranten vorwiegend friedlich gegen das neue Lager demonstriert. Als einige Demonstranten die Polizei mit Steinen bewarfen, setzte diese Tränengas ein. Einige Menschen wurden wegen Atemproblemen ins Krankenhaus gebracht. Gestern gingen die Proteste weiter.
Auch die Bevölkerung auf Lesbos wehrt sich gegen die Errichtung eines neuen Lagers. Einige Einwohner hielten die Bulldozer der Bautrupps mit Straßensperren auf.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnte vorgestern vor „wachsenden Spannungen zwischen Anwohnern, Asylsuchenden und der Polizei“. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sprach von einem „explosiven Mix“ aus Pandemie und Flüchtlingskrise.
Viele der Flüchtlinge wollen vor allem nach Deutschland. Hier wird weiter über ihre Aufnahme diskutiert. Zur bisher geplanten Aufnahme von voraussichtlich etwa 150 unbegleiteten Minderjährigen sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) vorgestern, dies könne „nur ein erster Schritt sein"“ Angesichts der Not auf Lesbos seien die EU und auch Deutschland in der Pflicht, „in größerem Umfang weitere Flüchtlinge aufzunehmen“.
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