Ausland

EU-Gesundheitsminister drängen auf unabhängige Arzneimittelproduktion

  • Mittwoch, 26. März 2025
/Stuart, stock.adobe.com
/Stuart, stock.adobe.com

Warschau – Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen muss der europäische Markt attraktiver für Arzneimittelhersteller werden. Zudem braucht es Nachbesserungen bei dem von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzentwurf des „Critical Medicines Act“. Dies ist zentral für die Sicherheit Europas.

Darauf wiesen die Gesundheitsministerinnen und -minister der Europäischen Union (EU) gestern nach einer informellen Tagung des Rates für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) hin.

Es sei bekannt, dass die Versorgungssicherheit auch durch in Europa geschaffene Herstellungskapazitäten erreicht werden müsse, erklärte der EU-Kommissar für Gesundheit und Tierschutz, Olivér Várhelyi, im Nachgang des Treffens. Diese Kapazitäten müssten deutlich aufgestockt werden. „Die Diskussion hat bestätigt, dass wir einen Markt brauchen, der attraktiver für Investitionen und für die Versorgung ist“, sagte Várhelyi weiter.

Die polnische Gesundheitsministerin Izabela Leszczyna, die die Sitzung leitete, betonte, sie sei glücklich, dass alle es als wichtig erachteten, die Situation aus der Patientenperspektive zu sehen. Die medizinische Versorgung und entsprechende Lieferketten müssten entsprechend nicht nur bei Generika, sondern auch bei innovativen, neuen Medikamenten, in Zukunft gesichert werden, betonte Leszczyna. Diese müssten künftig auch in kleinen und ärmeren EU-Ländern zur Verfügung stehen, forderte sie.

Sie verwies dabei auf den von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf des „Critical Medicines Act“. Dieser werde am 11. April veröffentlicht, erklärte Leszczyna. Sie betonte, es sei richtig, dass die EU mehr Geld für Verteidigung ausgebe, dies gehe aber zudem Hand in Hand mit der Sicherstellung von medizinischen Lieferketten und einer medizinischen Versorgungssicherheit.

Diesbezüglich hatten sich vor einigen Tagen auch elf EU-Gesundheitsministerinnen und -minister in einem Beitrag des Onlinemediums Euronews deutlich geäußert. Die Abhängigkeit von kritischen Medikamenten sei die Achillesferse der europäischen Sicherheit, erklärten sie – darunter auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Diese Abhängigkeit könne sich Europa nicht mehr leisten, deshalb dürfe die EU die Arzneimittelsicherheit nicht mehr als zweitrangiges Thema behandeln, fordern sie.

Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen könnten die Globalisierung und die europäische Abhängigkeit des großen Arzneimittelmarktes in Asien bedrohliche Nebeneffekte haben, erklären die Minister in dem Artikel. Etwa 80 bis 90 Prozent aller Antibiotika werden in Asien, vor allem in China, hergestellt.

„Ohne diese lebenswichtigen Medikamente werden Routineoperationen zu riskanten Eingriffen, und leicht zu behandelnde Infektionen können tödlich enden“, schreiben die Minister weiter. Für ausländische Akteure sei es ein Leichtes, diese Abhängigkeit in eine kritische Schwachstelle umzuwandeln, die wiederum die Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten Europas ernsthaft untergraben könnte.

Eine Antwort auf diese Probleme sei der „Critical Medicines Act“, erklären auch die Minister. Ziel des Gesetzes sei es, Schwachstellen in den Lieferketten für kritische Arzneimittel zu erfassen, die europäische Produktion zu unterstützen und die Lieferketten zu diversifizieren. Das Gesetz soll auch die allgemeine Nachhaltigkeit des (generischen) Arzneimittelmarktes verbessern, mit Beschaffungskriterien, die die Nachhaltigkeit der Produktion und die Versorgungssicherheit belohnen.

Allerdings müsse die EU das Gesetz in den europäischen Sicherheitsrahmen integrieren, ähnlich wie der „Defence Production Act“ der Vereinigten Staaten von Amerika die pharmazeutischen Versorgungsketten als nationales Sicherheitsproblem bezeichnen würde.

Damit könnten die US-Behörden etwa Verträge mit Prioritätseinstufung ausstellen, die die Lieferanten verpflichten würden, Regierungsaufträge zu priorisieren, um sicherzustellen, dass lebenswichtige Medikamente geliefert werden.

Ähnlich müsse die EU-Kommission die Beschaffung von wichtigen Arzneimitteln regeln und sicherstellen, erklärten die elf Ministerinnen und Minister. Zudem sollte das Gesetz „Critical Medicines Act“ teilweise durch die EU-Verteidigungsausgabenpläne finanziert werden, forderten sie weiter. „Denn ohne lebenswichtige Medikamente ist die Verteidigungsfähigkeit Europas gefährdet.“

Der „Critical Medicines Act“ müsse zu einem wirksamen, umfassenden strategischen Programm ausgebaut werden, das durch EU-Verteidigungsmittel unterstützt wird, um die strategische Autonomie des Kontinents zu sichern, so die Forderung.

Neben diesem Gesetz arbeitet die EU derzeit auch an einem EU-Pharmapaket, das eine Verordnung und eine Richtlinie enthält, die unter anderem die Rahmenbedingungen für die Arzneimittelforschung, -entwicklung und -produktion verbessern sollen. Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) begrüßte das europäische Vorgehen und drängte, die Abstimmungsprozesse zügig abzuschließen. Derzeit seien für mehr als 500 Arzneimittel Lieferengpässe gemeldet, so Gerlach.

„Gerade angesichts der angespannten sicherheitspolitischen Weltlage ist es unabdingbar, dass Europa sich künftig wieder verstärkt selbst mit Arzneimitteln versorgen und damit Abhängigkeiten verringern kann“, sagte Gerlach. „Dafür muss der Forschungs- und Produktionsstandort Europa attraktiver werden. So halten und schaffen wir Wertschöpfung und Beschäftigung in Europa.“

Auch die Pharmabranche zeigt sich besorgt. „Die Versorgung der Menschen in Deutschland mit Arzneimitteln ist nicht mehr bloß ein gesundheitspolitisches Thema”, sagte Andreas Burkhardt, Vorsitzender von Pro Generika. „In Zeiten, in denen sich die Machtverhältnisse auf der Welt verschieben und offene Handelskriege geführt werden, ist sie auch ein sicherheitspolitisches Thema geworden.”

Er forderte deshalb die zukünftige Bundesregierung auf, das Problem zügig anzugehen. „Für die Sicherheit der Patientinnen und Patienten braucht es eine ressortübergreifende Strategie für die Grundversorgung, die folgende Ziele hat: mehr Resilienz, mehr Diversifizierung und mehr europäische Unabhängigkeit“, sagte Burkhardt.

Neben der Behandlung der Arzneimittellieferengpässe und Versorgungssicherheit diskutierten die Gesundheitsministerinnen und -minister gestern zudem die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und den Einfluss der digitalen Technologie, wie etwa soziale Medien.

Hier sei eine Zusammenarbeit der EU-Länder wichtig, digitale Faktoren müssten in die Politik zur psychischen Gesundheit einbezogen und auf internationaler Ebene Maßnahmen ergriffen werden, erklärte die polnische Gesundheitsministerin Leszczyna.

Auf der Tagesordnung stand zudem das Thema Prävention und wie Krankheiten besser vorgebeugt werden könnte. Auch hier erklärten die Teilnehmenden des Treffens, dass gemeinsame und sektorübergreifende Maßnahmen zur besseren Gesundheitserziehung und Förderung besserer Gesundheit in der EU benötigt werden. Es brauche bessere Entscheidungsmöglichkeiten für die Bevölkerung und personalisierte Präventionsstrategien, erklärte der EU-Kommissar Várhelyi.

cmk

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung