Ausland

Gericht in Alabama spricht Embryonen Persönlichkeits­rechte zu

  • Mittwoch, 21. Februar 2024
Supreme Court von Alabama, USA. /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Kim Chandler
Supreme Court von Alabama, USA. /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Kim Chandler

Washington – Für Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch könnte die Entscheidung des Supreme Court von Alabama weitreichende Konsequenzen haben. Erstmals verschärft ein Gericht in den USA erheblich die Bedin­gungen, unter denen die Dienste von Kliniken in Anspruch genommen werden können, die künstliche Be­fruch­­tung anbieten.

Tausende Paare in den Vereinigten Staaten haben durch die In-vitro-Fertilisation (IVF) schon Nachwuchs be­kommen. Bei dem Verfahren werden in der Regel mehr Eizellen befruchtet, als später bei den Empfängerin­nen eingesetzt werden.

Die verbliebenen Embryonen landen zur Aufbewahrung tiefgefroren in Spezialbehältern. Falls kein weiterer Kinderwunsch mehr besteht, werden sie zu einem späteren Zeitpunkt oft für Forschungszwecke genutzt – oder vernichtet. Gelegentlich kommt es auch zu einer versehentlichen Zerstörung von Embryonen.

Letzteres passierte 2020 im Center for Reproductive Medicine, einer In-vitro-Klinik in Alabama, wo ein Be­hälter mit Embryonen versehentlich fallengelassen worden war. Einige der betroffenen Paare verklagten die Klinik und beriefen sich dabei auf ein Gesetz zur fahrlässigen Tötung Minderjähriger.

In erster Instanz wies ein Gericht die Interpretation der Kläger zurück, dass ein eingefrorener Embryo der „De­finition einer Person oder eines Kindes“ entspreche. Es könnten daher keine Ansprüche an die Klinik abgelei­tet werden. Das war die bisher gängige Rechtsauffassung in derlei Fällen.

Die Kläger gingen vor dem Supreme Court Alabamas in Berufung – und bekamen Recht. Nicht knapp, sondern mit sieben zu zwei Stimmen stellten die Richter in der Sache „LePage v. Mobile Infirmary Clinic, Inc“ fest, dass eingefrorene Embryonen nach dem Gesetz des Bundesstaates Menschen mit vollen Persönlichkeitsrechten sind. Demnach kann die Klinik nun doch belangt werden.

Der Text des Gesetzes sei „weitreichend und uneingeschränkt“, schrieb Richter Jay Mitchell. „Es trifft auf alle Kinder, geboren oder nicht geboren, ohne Einschränkung zu.“ Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, neue Grenzen zu setzen.

Der Supreme Court erinnerte in seiner Entscheidung daran, dass Alabama eigens die Verfassung geändert habe, um ungeborenes Leben zu schützen. An einer Stelle in der Urteilsbegründung beruft sich die Mehrheit der Richter auf die Bibel und zitiert den Propheten Jeremia: „Ich kannte dich schon, bevor ich dich im Leib deiner Mutter geformt habe.“

Barb Collura, Chefin der In-vitro-Lobbyorganisation „Resolve“ kritisiert die Entscheidung als „familienfeind­lich“. Dies werde verheerende Konsequenzen für Menschen haben, die auf natürlichem Weg keine Kinder be­kommen könnten. „Die neue Gesetzeslage macht es vielleicht unmöglich, IVF-Dienste künftig noch anzubie­ten“, so ihr Fazit.

Da Patienten in Alabama und demnächst möglicherweise auch in anderen Staaten rechtlich gegen solche Kliniken vorgehen können, steigt das Risiko für die Betreiber enorm. Die Richter zeigten zwar Verständnis für Einwände bezüglich explodierender Kosten bei der Aufbewahrung von Embryonen. Letztlich seien dies aber politische Fragen, um die es bei der Auslegung des Rechts nicht gehe.

Das Gericht stellte in seinem Urteil ausdrücklich fest, dass es im Gesetz keine ungeschriebene Ausnahme für „ungeborene Kinder“ gebe. Dana Sussman, Vize-Direktorin der Organisation „Pregnancy Justice“, die sich für die Rechte von Schwangeren einsetzt, wertet das neue Urteil als potenziell wegweisend: „Nachdem der erste Staat vorgeprescht ist, wird sich das beim nächsten nicht mehr so radikal anfühlen.“

kna

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