In Bangladesch droht eine humanitäre Krise

Cox's Bazar/Rangun – Angesichts der Massenflucht von muslimischen Rohingya aus Myanmar droht nach UN-Angaben eine humanitäre Katastrophe im Nachbarland Bangladesch. In den vergangenen drei Wochen seien mehr als 410.000 Rohingya nach Bangladesch geflohen, teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit.
Täglich kämen Tausende weitere hinzu. Die andauernde Gewalt in Myanmar habe die Situation zu einer der „am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrisen der vergangenen Jahre“ gemacht, schrieb die Internationale Organisation für Migration (IOM). Die Flucht von inzwischen Hunderttausenden Menschen begann am 25. August, als Myanmars Militär nach Angriffen von Rohingya-Rebellen auf Polizei- und Militärposten mit Razzien im Bundesstaat Rakhine begann.
Rakhine grenzt an Bangladesh. Die Rohingya werden von Myanmar, dem ehemaligen Birma, nicht als Staatsbürger anerkannt. In dem Vielvölkerstaat ist die große Mehrheit der Bevölkerung buddhistischen Glaubens. „Es ist zum Verzweifeln. Das ist eine der größten menschengemachten Krisen und Massenfluchten in der Region seit Jahrzehnten“, sagte Martin Faller, stellvertretender Regionaldirektor des Roten Kreuzes.
Sechs von zehn Geflüchteten sind Kinder
Das UN-Kinderhilfswerk Unicef warnte insbesondere davor, dass sechs von zehn Geflüchteten Kinder seien. 36.000 von ihnen seien Babys unter einem Jahr, hinzu kämen mehrere Zehntausend schwangere Frauen. Die meisten Geflüchteten leben in notdürftig errichteten Lagern entlang einer Hauptstraße, die aus Myanmar nach Bangladesch kommt.
Die Gegend sei jüngst von Überflutungen betroffen gewesen und „nicht in der Lage, mit einer großen Anzahl von Neuankommenden zurecht zu kommen“, sagte ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. „Es wird sofortige Nahrungsmittelhilfe benötigt“, heißt es in einem UN-Bericht über die derzeitige Lage.
Hunderttausende Vertriebene ohne ausreichende Hilfe
„Wir haben es ganz offenkundig mit einer katastrophalen humanitären Situation zu tun“, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert. Deutschland unterstütze die Hilfsmaßnahmen für Rakhine. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes forderte ungehinderten Zugang für internationale Beobachter und Hilfsorganisationen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erklärte, hunderttausende Vertriebene seien ohne ausreichend Hilfe. Hilfsorganisationen müssten „umgehend ungehinderten Zugang“ nach Rakhine erhalten.
Internationale Beobachter haben wiederholt das Schweigen von Myanmars de-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi kritisiert. „Ich würde erwarten, dass die Staatschefin (die Gewalt) unter Kontrolle bringen könnte und in der Lage wäre, die Situation umzukehren“, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres am Sonntag dem britischen Sender BBC. „Sie hat eine Chance, eine letzte Chance, dies zu tun.“ Es sei aber klar, dass das Militär, welches Myanmar jahrzehntelang diktatorisch regiert hatte, „weiter die Oberhand“ in dem Land habe, sagte Guterres weiter.
Einige Kommentatoren weisen darauf hin, dass die buddhistische Bevölkerungsmehrheit in Myanmar mit der Gewalt gegen die muslimische Rohingya-Minderheit einverstanden ist. Ein nicht namentlich genannter Diplomat sagte der britischen Zeitung Guardian, auch Suu Kyi fühle sich durch die Rohingya angegriffen und „verteidigt ihr Land“.
Sanktionen gegen die Armee Myanmars gefordert
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte die Vereinten Nationen heute auf, Sanktionen gegen die Armee Myanmars zu verhängen. „Der UN-Sicherheitsrat und betroffene Länder sollten gezielte Sanktionen und ein Waffenembargo gegen das myanmarische Militär verhängen und so dessen Kampagne der ethnischen Säuberung gegen Rohingya-Muslime beenden“, forderte HRW in einer Erklärung.
Die Krise der Rohingya müsse bei der morgen beginnenden Generaldebatte der UN-Vollversammlung zur Priorität gemacht werden, forderte die Menschenrechtsorganisation. Die Regierung von Myanmar hatte gestern angedeutet, nicht alle über die Grenze nach Bangladesch geflohenen Rohingya zurückzunehmen. Bestimmten Flüchtlingen wird vorgeworfen, Verbindungen zu den Rebellen im Bundesstaat Rakhine zu unterhalten. Dies dürfte bei Bangladeschs Regierungschefin Sheikh Hasina für Verärgerung sorgen. Sie will morgen an die UN-Vollversammlung appellieren, ihrem Land in der Flüchtlingskrise zu helfen und den Druck auf Myanmar zu erhöhen, alle Rohingya zurückzunehmen.
Auch in Indien ist das Flüchtlingsproblem akut. Die indische Regierung drängt auf eine Ausweisung von bis zu 40.000 Rohingya, worüber der Oberste Gerichtshof entscheiden muss. In einem Regierungsschreiben an das Gericht hieß es heute, einige der Flüchtlinge aus Myanmar stellten ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko dar. Sie gefährdeten Buddhisten und indische Staatsbürger. Die Rohingya-Flüchtlinge weisen jegliche Verbindung mit islamischen Extremisten zurück. Nach UN-Angaben sind 16.000 Rohingya in Indien registriert und viele weitere nicht offiziell erfasst. Die indische Regierung spricht von 40.000 Rohingya. Viele leben bereits seit Jahren in Indien.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: