Kind nach Monaten von hirntoter Frau entbunden – eine „ethisch äußerst fragwürdige Instrumentalisierung des Körpers“

Atlanta/Berlin/Göttingen – Der Fall von Adriana Smith, einer schwangeren hirntoten Frau aus dem US-Bundesstaat Georgia, bewegt auch in Deutschland viele Menschen.
Bei der Schwarzen 31-Jährigen konnte im Februar dieses Jahres aufgrund zu spät entdeckter Blutgerinnsel im Gehirn nur noch der Hirntod festgestellt werden. Da Smith jedoch zu diesem Zeitpunkt etwa in der 8. oder 9. Woche schwanger war, erhielt sie im Emory Hospital Midtown in Atlanta vier Monate lang lebenserhaltende Maßnahmen, und zwar, bis am 13. Juni erfolgreich ein Junge entbunden werden konnte. Dann wurden die Maßnahmen eingestellt.
Dies berichtete jetzt das British Medical Journal (BMJ 2025; DOI: 10.1136/bmj.r1260). Das Kind, dem der Namen „Chance“ gegeben wurde, sei durch einen Notkaiserschnitt zur Welt gekommen und befinde sich auf der neonatologischen Intensivstation, teilte die Familie von Smith dem Sender WXIA in Atlanta mit.
In den vergangenen Monaten wurde ihr Fall zu einem Politikum, denn es gab offensichtlich rechtliche Unsicherheiten bei den Ärztinnen und Ärzten bezüglich der Aufrechterhaltung der intensivmedizinischen Maßnahmen trotz des Hirntods der jungen Frau.
Ihr Körper sei lediglich aufgrund der in Georgia besonders strengen Abtreibungsregeln, des sogenannten Herzschlaggesetzes, am Leben erhalten worden, so die Familie. Dieses Gesetz verbietet Abtreibungen, sobald Herztöne messbar sind, was etwa ab der sechsten oder siebten Schwangerschaftswoche der Fall ist.
Smiths Familie kritisierte das Vorgehen nicht explizit. Sie bedauerte jedoch, dass ihr kein Mitspracherecht eingeräumt worden sei. „Ich sage nicht, dass wir uns für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, aber die Entscheidung hätte uns überlassen werden sollen – nicht dem Staat“, so April Newkirk, die Mutter von Smith.
Auch für uns in Deutschland wirft der Fall von Adriana Smith zentrale ethische Fragen auf. „Es geht dabei unter anderem um das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Frauen über ihren eigenen Körper – ein Recht, das in den USA durch das Erstarken konservativer Kräfte und die Aufhebung des landesweiten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch im Jahr 2022 teils stark eingeschränkt wurde“, sagt Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin der Universität Göttingen dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).
Zudem stelle sich die Frage nach dem rechtlichen und moralischen Status des ungeborenen Kindes sowie nach der systematischen Benachteiligung Schwarzer Patientinnen, so der Ethikprofessor.
Er selbst sehe den Fall weniger unter dem Aspekt des Schwangerschaftsabbruchs, so Simon, sondern vielmehr als ethisches Problem im Zusammenhang mit einer Therapiebegrenzung.
Dabei erkennt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Ethik der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer (BÄK) Parallelen zur Organspende: „Bei einer postmortalen Organspende muss die intensivmedizinische Behandlung bis zur Organentnahme aufrechterhalten werden“, erklärt er. „Ebenso wurde bei der hirntoten Adriana Smith die intensivmedizinische Versorgung fortgeführt, damit das Kind zur Welt gebracht werden konnte.“
Solche Maßnahmen seien nach seiner Auffassung jedoch nur dann ethisch und – in Deutschland – auch rechtlich zulässig, wenn sie entweder auf einer vorherigen Zustimmung der Patientin beruhen oder – falls diese fehlt – die Angehörigen stellvertretend einwilligen. „Wenn es keine Einwilligung gibt, muss die Behandlung beendet werden“, betont Simon. Im Fall von Adriana Smith wäre dann auch das Kind gestorben. „Aber das wäre als Folge der Therapiebegrenzung zu werten gewesen – nicht als Schwangerschaftsabbruch.“
„Eine intensivmedizinische Weiterbehandlung ohne Zustimmung der hirntoten Patientin oder ihrer Angehörigen stellt in meinen Augen eine schwere Verletzung ihres fortwirkenden Persönlichkeitsrechts dar“, sagt der Medizinethiker dem DÄ. Die Aufrechterhaltung der Maßnahmen sei ferner mit einer „ethisch äußerst fragwürdigen Instrumentalisierung des Körpers“ der Frau einhergegangen, die sich auch durch die (Aussicht auf eine) erfolgreiche Geburt des Kindes nicht rechtfertigen lasse.
April Newkirk, die Mutter von Smith, hat dem BMJ zufolge später zu Protokoll gegeben: „Ich denke, alle Frauen sollten die Möglichkeit haben, über ihren Körper zu entscheiden. Und ich denke, ich möchte, dass die Leute das wissen.“
Am 17. Juni erklärten drei Frauen, die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses sind (Nikema Williams aus Georgia, Ayanna Pressley aus Massachusetts und Sara Jacobs aus Kalifornien), dass sie eine Resolution in den amerikanischen Kongress wollen einbringen, in der sie „dringende legislative und politische Änderungen zum Schutz der Rechte, der Autonomie und der Würde schwangerer Menschen – insbesondere Schwarzer Frauen – fordern, die unverhältnismäßig stark von systemischer medizinischer Vernachlässigung und restriktiven Anti-Abtreibungsgesetzen betroffen sind.“
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