Nach Erdbeben: Bund stockt Hilfen auf, Opferzahlen steigen weiter

Istanbul/Damaskus – Als Reaktion auf das verheerende Erdbeben stockt die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe für Syrien und die Türkei um weitere 26 Millionen Euro auf. Davon sind insgesamt 25 Millionen Euro für zwei Hilfsfonds der Vereinten Nationen vorgesehen sowie eine Million für den Malteser Hilfsdienst, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes erläuterte.
Nach Angaben von Bundesinnen- und Verteidigungsministerium läuft der Transport von Hilfsgütern aus Deutschland mittlerweile an. Dabei handle es sich um Zelte, Schlafsäcke, Feldbetten, Decken, Heizgeräte und Generatoren. Ein Sprecher des Innenministeriums berichtete von etwa 82 Tonnen Material im Gesamtwert von einer Million Euro.
Das Verteidigungsministerium stellt Flugzeuge für den Transport bereit. Von Donnerstag an soll es drei Flüge pro Tag geben. Das Auswärtige Amt widersprach unterdessen dem Vorwurf, die humanitäre Hilfe werde durch die Sanktionen gegen Syrien blockiert.
Diese richteten sich gezielt gegen das syrische Regime und dessen Unterstützer, während man negative Folgen für die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vermeide, sagte eine Sprecherin. Lebensmittel, Medikamente und schweres Gerät für die Bergung von Verschütteten seien von den Sanktionen „ausdrücklich ausgenommen“. Es bleibe aber dabei, dass Deutschland die Kontakte mit dem Regime in Damaskus auf das „zwingend notwendige Minimum“ beschränke, ergänzte die Außenamtssprecherin.
Bei der Verteilung von Hilfsgütern in Syrien arbeite man schon seit Jahren mit internationalen Organisationen wie dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, den Weißhelmen und dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zusammen. Das gelte auch für Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden.
Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien steigen die Todeszahlen immer weiter. Derzeitiger Stand: Mehr als 11.000 Menschen starben, über 45.000 wurden verletzt.
Ein Lichtblick: Die internationale Hilfe ist in vielen Orten angekommen. Sie kämpfen nun gegen die Zeit – und gegen eisige Temperaturen. So brach etwa am Flughafen Köln/Bonn am frühen Morgen ein 50-köpfiges Team des Technischen Hilfswerks (THW) ins Katastrophengebiet auf. Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay teilte am späten Abend mit, in der zweiten Nacht liefen die Bergungsaktivitäten immer noch auf Hochtouren.
Nach Angaben von Vizepräsident Oktay sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz – sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien rund 60.000 Helfer vor Ort. Der Regierungspolitiker sagte, dass in der Nacht internationale und lokale Teams vor allem in die Provinzen Adiyaman, Hatay und Kahramanmaras gebracht würden.
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf Präsident Erdogan Versagen beim Krisenmanagement vor. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten, sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP.
Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben vorgestern früh am Morgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Vorgestern Mittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein.
Alleine in der Türkei gab es nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad von heute Mittag mehr als 7.100 Tote und 40.900 Verletzte zu beklagen. In Syrien starben laut dem dortigen Gesundheitsministerium sowie der Rettungsorganisation Weißhelme 2.270 Menschen.
Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden. Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den Überlebenden zusätzlich zu schaffen, viele haben kein Dach mehr über dem Kopf.
Zu den Überlebenschancen generell erklärte Henri Paletta, Vizepräsident des Bundesverbands Rettungshunde: „Man sagt, dass nur wenige Tage eigentlich bleiben.“ Allerdings seien in der Vergangenheit auch Menschen nach vier oder fünf Tagen gerettet worden. „Wir hoffen natürlich immer auf Wunder.“
Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete in dem Land ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib.
In Syrien war nach Protesten gegen die Regierung 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dem viele ausländische Staaten eingriffen und in dem über ein Jahrzehnt mehr als 350.000 Menschen getötet wurden. Die Assad-Regierung beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes. Die Erdbebenkatastrophe traf im Norden Gebiete unter verschiedener Kontrolle, was Helfern die Arbeit zusätzlich erschwert.
Humanitäre Hilfe muss nach Einschätzung von Ärzte ohne Grenzen nun auch schnell in die syrischen Erdbebengebiete kommen. „International ist es wichtig, dass Teams relativ zügig auch nach Syrien in dieses Gebiet kommen und die Menschen dort unterstützen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Parnian Parvanta. Dabei gehe es um Nahrungsmittel und Decken, aber auch um Hilfe beim Wiederaufbau.
Das Problem sei, dass das Gebiet seit Jahren unter dem Bürgerkrieg leidet. „Wir haben viele Kolleginnen vor Ort, die tätig sind. Sie verlieren Familienangehörige, sie verlieren ihre Häuser“, so Parvanta. „Das ist Teil des Problems: zum einen Krankenhäuser, die kaputt gehen – aber auch Personal, was selbst betroffen ist.“
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