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Nach EU-Warnung: Tiktok setzt Funktion von App-Version vorerst aus

  • Donnerstag, 25. April 2024
/tashatuvango, stock.adobe.com
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Brüssel – Nachdem die EU-Kommission erneut ein Verfahren gegen Tiktok eröffnet hat, setzt die Online-Plattform kritisierte Funktionen der App-Version Tiktok Lite vorerst aus.

„Tiktok ist stets bestrebt, konstruktiv mit der EU-Kommission und anderen Regulierungsbehörden zusammen­zuarbeiten“, verkündete der chinesische Konzern gestern auf X (vormals Twitter). „Daher setzen wir die Beloh­nungsfunktionen in Tiktok Lite freiwillig aus, während wir die von ihnen geäußerten Bedenken ausräumen.“

Die „Lite“-Version der App war im April in Frankreich und Spanien in Europa eingeführt worden. Die Brüsseler Behörde hatte am vergangenen Montag verkündet, dass sie prüfen will, ob das Unternehmen damit die psy­chische Gesundheit von Minderjährigen gefährde und gegen EU-Regeln verstoße.

Besonders beunruhigt sei man über das Aufgaben- und Belohnungsprogramm. Dieses ermögliche es den Nutzern, Punkte zu sammeln, wenn sie bestimmte Aufgaben erfüllen – wie das Ansehen von Videos oder die positive Bewertung („Liken“) von Inhalten. Dies könne süchtig machen und sei besonders besorgniserregend für Kinder, da nicht erkennbar sei, dass das Alter der Nutzer wirksam überprüft werde.

Die Kommission hatte Tiktok 48 Stunden Zeit gegeben, um nachzuweisen, dass es die EU-Regeln eingehalten hat und kein ernsthafter Schaden entstanden ist. Danach hätte die Behörde die Plattform anweisen können, die neuen Funktionen vorerst auszusetzen. Dem ist Tiktok nun zuvorgekommen.

„Ich nehme die Entscheidung von Tiktok zur Kenntnis, das Tiktok Lite ,Belohnungsprogramm' in der EU aus­zusetzen“, schrieb der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton auf X. Die Verfahren wegen der möglichen Suchtgefahr der Plattform würden aber weitergehen. „Unsere Kinder sind keine Versuchskaninchen für soziale Medien.“

„Den sozialen Medien wird schon seit längerem ein Suchtpotenzial zugesprochen, auch wenn es keine klinisch anerkannte Diagnose dafür gibt“, sagte Anne-Linda Camerini von der Universität della Svizzera Italiana. Dagegen sei man beim Thema Internetgaming schon weiter, und es gebe erste Kriterien, die helfen könnten, eine Internetgamingsucht zu erfassen.

„Internetgaming ist oft mit Challenges, Belohnungen und Personal-Bests verbunden, die Spielende dazu verleiten, immer weiterzumachen“, sagte sie. Wenn nun Challenges und Belohnungen in soziale Medien eingebettet würden, wie zum Beispiel bei Tiktok Lite, dann könne diese Form der Gamification zu einer erhöhten Abhängigkeit beitragen. Camerini betonte auch, es brauche entsprechende Studien, um die Hypothese eines erhöhten Suchtpotenzials von Tiktok Lite zu testen.

Elisa Wegmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen, sieht das ähnlich. „Studien, die explizit die Nutzung von Tiktok und die psychologischen Wirkmechanismen adressieren, sind aktuell nur vereinzelt vorhanden“, sagte sie.

Die Merkmale, die die App ausmachten, wie die Präsentation von personali­sier­ten, kurzen Videos, lasse eine bedingte Vergleichbarkeit mit anderen Applikationen zu, sodass es weiteren Forschungsbedarf hinsichtlich der medienspezifischen Charakteristika und Wirkmechanismen einzelner Elemente bedürfe.

Grundsätzlich sei aber davon auszugehen, dass eine App nicht ,gut‘ oder ,schlecht‘ sei, sondern eine proble­mat­ische Nutzung das Resultat des Zusammenspiels von individuellen Merkmalen, kognitiven Mechanismen und situativen Faktoren sowie möglichen medienspezifischen Elementen darstelle.

Sie betonte, es sei „anzunehmen, dass ein bestimmtes Belohnungsempfinden wie die Befriedigung von grund­legenden Bedürfnissen durch die Nutzung erfolgt“, sodass Personen die Verknüpfung von Bedürfnisbefriedi­gung und der Nutzung erlernten und immer wieder darauf zurückgreifen würden.

„Die Kritik an dem von Tiktok eingeführten Belohnungssystem ist, dass Tiktok vor Einführung bereits die mit dem System verbundenen Risiken, wie Suchtgefahr und die Auswirkung auf die psychische Gesundheit vor allem Minderjähriger, hätte bewerten und Risikominderungsmaßnahmen ergreifen müssen“, erklärte Matthias Kettemann, Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck.

dpa

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