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Schmelzende Eisschichten: Jahrtausende alte Organismen werden reaktiviert

  • Freitag, 11. Juli 2025
/William, stock.adobe.com
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Nairobi – Viren, Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen leben in den Eisschichten der Erde (Kryosphäre). Durch steigende Temperaturen und den damit einhergehenden Verlust der Eismassen könnten diese Organismen freigesetzt werden, warnt das UN-Umweltprogramm in einem neuen Bericht zu aufkommenden Umweltproblemen und deren Lösungen.

Einige dieser reaktivierten Mikroben könnten auch krankheitserregend sein, heißt es in dem Bericht. Möglicherweise hat es Ausbrüche durch solche Krankheitserreger bereits gegeben. Als Beispiel nennt das Autorenteam einen Ausbruch von Milzbrand (Anthrax) 2016 in auf der Jamal-Halbinsel in Sibirien.

„Forschende stellten die Theorie auf, dass die ungewöhnlich hohen Temperaturen in jenem Sommer und das Auftauen des Permafrosts neben anderen Faktoren zur Reaktivierung von Bacillus anthracis (Auslöser Milzbrand) in den Bodenreservoiren beitrugen“, so die Autoren. Die Gefahr großer Krankheitsausbrüche halten sie allerdings für gering.

Antibiotikaresistenzen im Eis

Eine andere Gefahr stecke in der möglichen Verbreitung von Antimikrobiellen Resistenzen (AMR) durch die eisliebenden Spezies, den sogenannten Psychrophilien. Über einen horizontalen Gentransfer könnten die Organismen Resistenzgene austauschen. Den Autoren zufolge sind bereits antimikrobiellen Resistenzgene gegen moderne Antibiotika wie Chloramphenicol, Beta-Lactame, Streptomycin und Tetracyclin in kryosphärischen Ökosystemen nachgewiesen worden.

Der Zustrom von Gletscherschmelzwasser in andere Gewässer könnte bereits jetzt die Evolution von modernen Mikroben durch den Gentransfer mit alten Mikroben vorantreiben. Ein solches Genom-Recycling könnte zur Entstehung neuer Stämme von Mikroben mit einem höheren Virulenzpotenzial führen, konstatieren die Autoren.

Um den Rückgang der Kryosphäre zu verlangsamen, empfiehlt UNEP die Treibhausgasemissionen zu reduzieren – einschließlich der Schwarzkohleemissionen aus Dieselmotoren, landwirtschaftlichen Freilandfeuer und Waldbränden. Auch der Tourismus sollte in empfindlichen Eisregionen eingeschränkt werden.

Neben der potenziell krankheitserregenden Wirkung besteht das Risiko, dass die freiwerdenden Organismen organisches Material in auftauenden Böden zersetzen, wodurch die Kryosphäre zu einer von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle wird.

Direkte Auswirkungen: Hitze

Viel schneller und direkter zeigen sich die gesundheitlichen Auswirkungen der Erderwärmung auf die Zahl der Hitzetoten. Insbesondere für ältere Menschen stellen Hitzeperioden eine Gefahr da. Ein weiteres Kapitel des Berichts beschäftigt sich mit den Herausforderungen des demographischen Wandels unter neuen Klimabedingungen.

Die Folgen steigender Temperaturen sind besonders in dicht bebauten Städte zu spüren. Sie heizen sich während einer Hitzewelle intensiv auf – gerade dort, wo ausgleichende Grünflächen fehlen. Und immer mehr Menschen ziehen in städtische Gebiete. Derzeit leben laut UNEP-Bericht etwa 57 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 wird ein Anstieg auf 68 Prozent erwartet.

Der Anteil älterer Stadtbewohner wächst ebenfalls stetig. Viele ältere Menschen suchen das Leben in der Stadt, um unter anderem Zugang zu besseren Gesundheitseinrichtungen, sozialen Aktivitäten und einem zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr zu haben.

Das Gesundheitsrisiko steigt zudem, je höher die Luftfeuchtigkeit ist, da dies die Fähigkeit des Körpers einschränkt, sich durch Schweiß abzukühlen. Hitzewellen mit hoher Luftfeuchtigkeit treten bereits jetzt gehäuft in den niedrig gelegenen tropischen Regionen Indiens, Pakistans und Ostchinas sowie in den Ländern am Persischen Golf auf, so der UNEP-Bericht.

In Städten kann dem Bericht zufolge eine bessere Planung den Wärmeinseleffekt begrenzen sowie die hitzebedingte Häufung von Krankheiten und Todesfällen reduzieren. Vor allem sei dies möglich mit mehr Grünflächen, Wasserflächen und Verbindungskorridoren für Luftströmungen.

Gestützt werden die Prognosen des Umweltprogramms durch eine in dieser Woche veröffentlichte Studie eines internationalen Forscherteams zu den Folgen der jüngsten Hitzewelle in Europa in zwölf Großstädten.

Hitzewellen gehörten neben Überschwemmungen zu den häufigsten und tödlichsten Folgen des Klimawandels, sagte UNEP-Exekutivdirektorin Inger Andersen.

Überschwemmungen setzen toxische Stoffe frei

Während die direkten Auswirkungen von Überschwemmungen auf das Leben und die Infrastruktur weithin anerkannt seien, würden die indirekten Folgen oft übersehen, heißt es in einem weiteren Teil des UNEP-Berichts.

Dazu zählt die Remobilisierung von Chemikalien, die vor Jahrzehnten verboten und aus dem Verkehr gezogen wurden. „Überschwemmungen können solche Chemikalien an die Oberfläche bringen, nachdem sie sich über Jahrhunderte im Sediment angesammelt haben", so die Autoren.

Wenn das Hochwasser Sedimente und Schutt aufwirbelt, könnten giftige Chemikalien freigesetzt werden und erneut in städtische Gebiete oder in die Lebensmittelversorgung gelangen. So stieg zum Beispiel beim Elbe-Hochwasser in Tschechien und Deutschland die Konzentration von Hexachlorcyclohexan in Fischen flussabwärts von ehemaligen Produktionsorten des Pesitzids Lindan, einer isomeren Form von Hexachlorcyclohexan.

2009 wurde Lindan aufgrund seiner neurotoxischen Wirkung vom Markt genommen. Daneben mobilisierte das gleiche Hochwasser Radionuklid- und Schwermetallaltlasten aus den ehemaligen Uranbergbau Abraumhalden in der Elbregion.

Eine ganz andere neue Bedrohung, die im Bericht angesprochen wird, ist das Risiko alternder Staudämme. Neben vielen Vorteilen können Staudämme demnach indigenen und von der Fischerei abhängigen Gemeinschaften schaden und die Ökosysteme beeinträchtigen.

mim/dpa

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