US-Kürzungen bei mRNA-Impfstoffen laut Nobelpreisträgerin „riesiger Fehler“

Washington – Die Ankündigung massiver Kürzungen für die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen in den USA hat in der Fachwelt Kopfschütteln hervorgerufen. Expertinnen und Experten wiesen von der US-amerikanischen Regierung geäußerte Begründungen als irreführend zurück.
Die 2023 mit dem Nobelpreis prämiierte mRNA-Forscherin Katalin Karikó kommentierte die Einschnitte auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes mit zwei knappen Sätzen: Sie sprach von einem „riesigen Fehler“, den US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. begangen habe.
„Der weltweite Fortschritt bei der Impfstoffentwicklung und die nationale Sicherheit unseres Landes werden enorm darunter leiden“, so Karikó, die an der Universität Pennsylvania forscht.
Kennedy hatte zuvor mitgeteilt, dass die USA begonnen hätten, Verträge im Bereich der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Atemwegserreger aufzukündigen. Es gehe um 22 Projekte mit einem Gesamtvolumen von knapp 500 Millionen US-Dollar. Die Verträge waren von der US-amerikanischen Behörde BARDA (Biomedical Advanced Research and Development Authority) etwa zur Pandemievorbereitung geschlossen worden.
Das Mainzer Unternehmen Biontech teilte auf Anfrage mit, weder bestehende noch laufende Projekte mit der BARDA zu haben. Es wollte Kennedys Ankündigung nicht kommentieren und versicherte: „Wir glauben an das Potenzial von mRNA als neue Wirkstoffklasse in der Medizin – sowohl um weiterhin Millionen von Menschen sicher und effektiv vor Infektionskrankheiten wie COVID-19 zu schützen, als auch als mögliche neue Behandlungsoption für Menschen mit Krebs.“
Das Unternehmen Moderna, das ebenfalls zu den mRNA-Vorreitern gehört, antwortete zunächst nicht auf eine Anfrage.
„Impfstoffe auf Basis von mRNA haben sich darin bewährt, viele Menschen vor schweren Erkrankungen mit COVID-19 und RSV-Infektionen zu schützen“, sagte Matthias Meergans, Geschäftsführer Forschungspolitik des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Viele Unternehmen und Forschungsinstitute weltweit entwickelten Schutzimpfungen auf mRNA-Basis gegen Infektionskrankheiten, gegen die es bisher keinen Impfschutz gibt.
Konsequenzen für Impfstoffzulassungen in USA befürchtet
Ob derartige Impfungen aber in den USA noch eine Zukunft haben? „Wenn der US-Gesundheitsminister die Entwicklung von Impfstoffen auf Basis der mRNA-Technologie nicht mehr fördert, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es in den USA Probleme bei der Zulassung von entsprechenden Impfstoffen geben wird – egal, wo sie entwickelt oder produziert wurden“, erklärte der Alt-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster, auf Anfrage. „Das wäre eine wirklich schlechte Nachricht für die Bevölkerung der USA.“
Für den Rest der Welt rechnet er hingegen mit weniger dramatischen Auswirkungen, da es starke europäische und internationale Partnerschaften gebe. Wenn mRNA-Technologie in den staatlichen Forschungseinrichtungen der USA jetzt nicht weiterentwickelt würden, habe das Auswirkungen auf die Optimierung von Impfstoffen. „Dennoch wird diese irrationale Entscheidung den neuartigen Ansatz für Impfstoffe nicht aufhalten“, so Förster.
Der Immunologe betonte – wie auch eine Reihe von Forschenden aus Großbritannien, die vom Science Media Centre (SMC) befragt wurden – nachgewiesene Vorteile der Technologie im Vergleich zu anderen Ansätzen: allen voran, wenn es darum geht, Impfstoffe schnell an die jeweiligen Virusvarianten anzupassen und innerhalb kürzester Zeit große Mengen davon zu produzieren.
Pandemieprävention erfordere staatlicher Unterstützung
„Für mich ist diese Entscheidung nicht nachzuvollziehen, da die angebrachten Argumente nicht auf wissenschaftlichen Fakten, sondern wohl eher auf einer Ideologie beruhen“, sagte Carsten Watzl, Vorstandsmitglied der European Federation of Immunological Societies. Natürlich werde damit nicht die weltweite mRNA-Impfstoffforschung beendet, zumal der Einsatz der mRNA-Technologie in der Krebsforschung ausgenommen zu sein scheine.
Watzl hob aber hervor, dass manche Projekte, wie etwa die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Vogelgrippe bei Menschen nicht wirtschaftlich sei, da unklar sei, ob er jemals benötigt werde. Solche Forschung passiere nur mit staatlicher Unterstützung, und große Pharmafirmen in diesem Bereich säßen in den USA, wie etwa Moderna und Pfizer.
Mögliche Chance für Deutschland
Der frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnet die Kürzungen als „indiskutabel“ und „medizinisch falsch“. Die Regierung von Donald Trump richte damit einen erheblichen Schaden an und werfe die Forschung an Infektionskrankheiten massiv zurück, sagte Lauterbach dem Spiegel.
Gleichzeitig sieht der SPD-Politiker, der mittlerweile den Forschungsausschuss des Bundestags leitet, eine Chance für Deutschland. Es müsse massiv in die Forschung investiert werden, forderte Lauterbach. Ziel der Bundesregierung müsse es sein, in diesem Bereich unabhängiger von den USA zu werden und die Führung zu übernehmen.
Mehrere britische Fachleute widersprachen den Angaben, die Kennedy als Begründung für die Kürzungen angeführte hatte. Sie werteten diese als nicht evidenzbasiert und unvollständig. Der Politiker hatte unter anderem von mangelnder Effektivität von mRNA-Impfungen bei Atemwegserregern gesprochen.
Die vom SMC befragten Expertinnen und Experten kritisierten die Mittelkürzungen auch über die USA hinaus als schädlich für das Vertrauen in Impfstoffe und als Rückschlag für die Forschung. Als Folge drohten vermeidbares Leid und Todesfälle, insbesondere bei Kindern.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: