US-Pharmazölle: „Im Grunde könnten sich die USA damit ins eigene Fleisch schneiden“

Berlin – Der europäischen Pharmaindustrie drohen beim Export in die USA künftig Zölle in Höhe von 100 Prozent. Die EU-Kommission gibt sich gelassen und verweist auf das Zollabkommen, das sie mit der US-Regierung geschlossen hat.
Mit einem einzigen Post in seinem sozialen Netzwerk „Truth Social“ hat US-Präsident Donald Trump Pharmaindustrie und Wirtschaftspolitik in Aufruhr versetzt. Ab dem 1. Oktober sollen die Zölle demnach für jedes markengeschützte oder patentierte pharmazeutische Produkt gelten.
Ausgenommen seien nur Unternehmen, die eine Produktionsstätte in den USA errichten. Mehr Details nannte er nicht – beispielsweise, ob auch Unternehmen betroffen sein sollen, die zwar keine eigenen US-Produktionsstätten betreiben, wohl aber über Tochtergesellschaften in den USA vertreten sind.
Die deutsche Pharmaindustrie zeigt sich alarmiert. Von einem „harten Rückschlag für den Pharmastandort Deutschland und Europa“, spricht der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). Die USA seien das wichtigste Exportland für die deutsche Pharmaindustrie mit ihren 130.000 Beschäftigten.
Allein im vergangenen Jahr hätten deutsche Pharmafirmen Waren im Wert von 27 Milliarden Euro dorthin exportiert – ein Viertel der gesamten deutschen Pharmaexporte.
Die angekündigten Zölle hätten gravierende Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten, verteuerten die Produktion von Arzneimitteln und gefährdeten die Versorgung von Patientinnen und Patienten, so vfa-Präsident Han Steutel.
Bereits jetzt sehe die Industrie, dass Investitionen am Standort eingefroren werden. „Das ist das letzte, was der Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt braucht“, unterstreicht Steutel.
Die Sorgen scheinen berechtigt. Einzelne deutsche Unternehmen würden bis zu 40 Prozent ihrer Produkte in die USA exportieren, sagte Jasmina Kirchhoff, Projektleiterin der Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, dem Deutschen Ärzteblatt.
Auswirkungen nicht absehbar
Zudem seien die deutsche und die US-amerikanische Pharmaindustrie sowohl in der Forschung als auch in der Produktion eng miteinander verbunden, also beispielsweise auch über Vor- und Zwischenprodukte von Medikamenten.
Ob, und falls ja, in welchem Maße diese betroffen sind, ist ebenfalls unklar. Gleiches gilt für die Definition eines zu verzollenden Arzneimittels. Diese ist nämlich nicht trivial. So können im rechtlichen Sinne beispielsweise abgabefertige Packungen, verblisterte Arzneimittel oder aber auch nur die chemischen Substanzen an sich gemeint sein.
„Vor allem innovative Arzneimittel haben oft sehr komplexe, globale Lieferketten und es ist noch völlig unklar, welche Auswirkungen die nun verkündeten Zölle auf diese hätten“, sagt Kirchhoff.
Das gelte in beide Richtungen. „Die Frage ist auch, was nun in den USA passiert.“ So würden beispielsweise rund 90 Prozent der in die Vereinigten Staaten importierten Insuline aus Europa stammen, die Hälfte davon aus Deutschland.
Hohe Zölle und die damit verbundenen Kosten könnten demnach in den USA zu Lieferengpässen und steigenden Medikamentenpreise führen. Beides treffe am Ende am Ende US-amerikanische Patienten, die entweder ihre Arzneimittel nicht mehr erhalten oder zu höheren Preisen als bisher.
„Im Grunde könnten sich die USA damit ins eigene Fleisch schneiden“, erklärt Kirchhoff. „Zudem hat Trump versprochen, die Arzneimittelpreise zu senken. Da passt vieles vorn und hinten nicht zusammen.“
Nicht zusammen passt Trumps Ankündigung auch mit der Zollvereinbarung, die die EU-Kommission ausgehandelt hat. Diese zeigt sich in Bezug auf die Ankündigung Trumps demonstrativ gelassen.
In der gemeinsamen Erklärung vom August sei eine „eindeutige und umfassende Obergrenze von 15 Prozent für EU-Exporte“ festgehalten, erklärte ein Kommissionssprecher der Deutschen Presseagentur. Dies stelle „eine Art Absicherung dar, dass für europäische Wirtschaftsakteure keine höheren Zölle eingeführt werden.“
Dabei verwies er auf eine Passage in der gemeinsamen Erklärung von USA und EU zu dem Abkommen, der sich unter anderem auf Arzneimittel bezieht. „Die Vereinigten Staaten beabsichtigen sicherzustellen, dass der Zollsatz (...) 15 Prozent nicht überschreitet“, heißt es darin.
Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, betont demgegenüber, dass es sich bei der Handelsvereinbarung bisher lediglich um eine Absichtserklärung handele.
Er warnt die EU vor voreiligen Gegenmaßnahmen. „Gegenzölle auf amerikanische Pharmaimporte in die EU wären keine gute Strategie der Europäer, weil das ja die Kosten ihrer eigenen solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme weiter in die Höhe treiben würde“, erklärte er gegenüber dem Science Media Center.
Wie Kirchhoff sieht auch Stolpe kurz- bis mittelfristige Auswirkungen eher in den USA. So könnten steigende private Zuzahlungen für Medikamente insbesondere Millionen chronisch Erkrankte dort hart treffen.
Zudem könnten steigende Ausgaben für Medikamente auch erhebliche Erhöhungen der Prämien und Zuzahlungen zur Folge haben, die private Krankenversicherungen verlangen, sowie nicht zuletzt auch die staatlichen Programme der Gesundheitsversorgung alter und armer Menschen (Medicare und Medicaid) finanziell destabilisieren.
„Wenn der 15-Prozent-Deal nicht auch für Pharmaprodukte gilt, ist er nichts wert“, betont auch Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Die EU-Kommission müsse jetzt „mit breitem Kreuz darauf drängen, dass beide Seiten zu den getroffenen Vereinbarungen stehen. Sonst kann dieser Deal nur Geschichte sein.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit:
1