Warnung vor EU-Gefahreneinstufung von Ethanol für medizinische Zwecke

Berlin – Vier Verbände der Gesundheitsindustrie sowie die Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Krankenhaus-Hygiene (DGKH) kritisieren ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), das die Anwendung von Ethanol für medizinische Zwecke einschränken könnte.
Eine verschärfte Einstufung würde sich gravierend auf die Herstellung wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte und damit auf die Versorgung von Patienten auswirken, erklärten der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), der Industrieverband Hygiene & Oberflächenschutz (IHO) und der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) in einer Stellungnahme.
Das laufende ECHA-Verfahren bezieht sich auf die Biozidprodukteverordnung und die „Classification, Labelling and Packaging“- (CLP-) Verordnung. Es ist den Verbänden und der Fachgesellschaft zufolge zu befürchten, dass Ethanol zeitnah als reproduktionstoxisch oder krebserzeugend der Kategorie 2 oder sogar der höchsten Gefahrenkategorie 1 eingestuft wird.
Dadurch würde die Verwendung von Ethanol als Haupt- oder Hilfswirkstoff in Produkten und der Einsatz in Produktionsprozessen erschwert, aber auch die Verwendung im Rahmen der geltenden Arbeitsschutzregelungen stark eingeschränkt. „Dies hätte massive Verwendungsbeschränkungen – zum Beispiel bei Händedesinfektionsmitteln – zur Folge“, warnt die DGKH.
Der Hauptkritikpunkt der Verbände: Die zur Bewertung herangezogenen Daten zur Risikoeinstufung basieren nur auf der oralen Aufnahme von Ethanol. „Während die missbräuchliche Einnahme von Alkohol unserer Gesundheit schaden kann, ist Alkohol in der Medizin und Hygiene unverzichtbar. Ethanol ist in Produktionsprozessen sowie in Desinfektionsmitteln, Arzneimitteln oder Medizinprodukten wirksam, sicher und unabdingbar“, so die Verbände.
In einem Factsheet erläutern sie Hintergründe zu den Ethanolanwendungen in der Gesundheitsversorgung. Ethanol ist danach ein wesentlicher Wirkstoff in Desinfektionsmitteln, da es besonders effektiv gegen Bakterien und Viren wirke sowie sicher und biologisch abbaubar sei. „Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden ethanolhaltige Händedesinfektionsmittel als unverzichtbar eingestuft“, betonen sie. Eine Einordnung in die Gefahrenkategorie 1 würde den flächendeckenden Einsatz dieser Desinfektionsmittel signifikant beeinträchtigen, so ihre Kritik.
Ethanol werde in der Arzneimittelherstellung als Trägerstoff, Konservierungsmittel und zur Extraktion unter anderem für Wirkstoffe, ätherische Öle und andere Stoffe, die nicht in Wasser löslich sind, verwendet.
„Ethanol hat Eigenschaften, die maßgeblich zur Wirksamkeit eines Arzneimittels beitragen, wobei nur geringste Mengen dafür nötig sind“, betonen die Verbände. „Deshalb muss die von der ECHA geplante Gefahreneinstufung von Ethanol im medizinischen Bereich verhindert werden“, lautet ihr Appell.
„Eine Einstufung von Ethanol als reproduktionstoxisch oder gar kanzerogen (außerhalb der oralen Aufnahme) ist nicht gerechtfertigt. Sämtliche Einstufungen von Ethanol als potentiell reproduktionstoxisch oder kanzerogen resultieren ausschließlich aus der oralen Aufnahme“, betont auch die DGKH in ihrer Stellungnahme.
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