Ausland

Wenige Allgemeinmediziner in Frankreich haben medizinische Assistenten

  • Mittwoch, 26. Juni 2024
/ISOK-photography, stock.adobe.com
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Berlin/Paris – In französischen Praxen haben Medizinerinnen und Mediziner laut einer vergleichenden Unter­suchung seltener Unterstützung durch andere Fachkräfte als in Deutschland. Anfang 2022 hatten in unserem Nachbar­land nur fünf Prozent der Allgemeinmediziner einen medizinischen Assistenten, dessen Aufgaben und Kompetenzen aber nicht mit denen der hierzulande tätigen Medizinischen Fachangestellten (MFA) vergleich­bar sind.

Auch nur fünf Prozent der französischen Allgemeinärzte werde bisher von Krankenpflegekräften unterstützt, geht aus einer Untersuchung des französischen Recherche- und Dokumentationsinstituts für Gesundheits­wirtschaft IRDES hervor, die gestern in einem deutsch-französischen Webinar vorgestellt worden ist. Dabei tauschten sich Fachleute über die Gesundheitssysteme beider Länder aus. Die deutsche Praxisorganisation mit weiteren beschäftigten Fachkräften könnte der Untersuchung zufolge trotz des Kostenfak­tors eine Idee für die Aufgabenteilung in der ambulanten Versorgung in Frankreich sein.

Die Rolle des medizinischen Assistenten gibt es in Frankreich demnach erst seit 2019 und sei unterent­wickelt. Es ist eine einjährige Ausbildung nötig, die Aufgaben sind hauptsächlich administrativ. Lediglich 6.000 entsprechende Verträge seien bisher unterzeichnet worden, heißt es in der Unter­suchung. Zum Vergleich: In Deutschland arbeiteten 2021 laut der Analyse rund 341.000 MFA, 2019 habe die Zahl der durchschnittlichen Beschäftigten pro Einzelpraxis bei 5,2 gelegen.

Konsultationen in Frankreich doppelt so lange wie in Deutschland

Die Tatsache, dass selbst deutsche Einzelpraxen relativ viele Fachkräfte beschäftigten, scheine zur hohen Produktivität beizutragen, heißt es in der Untersuchung. 2019 habe die Zahl der Arztkontakte pro Einwohner bei 9,8 gelegen, das ist deutlich mehr als in Frankreich (5,9). Die Autoren der Untersuchung sprechen mit Blick auf Deutschland von einem besseren Zugang zu ambulanter Versorgung. Auch würden die Kosten hierzulande besser überwacht.

Die einzelne Konsultation dauert hierzulande halb so lange wie im Nachbarland, schreiben die Autoren: Der deutsche Durchschnittswert betrage acht Minuten, in Frankreich 16 Minuten.

Die Studie zeigt auch auf, dass Zusammenschlüsse mehrerer Ärzte, teils auch verschiedener Disziplinen, in einer Praxis in beiden Ländern zunehmen. In Frankreich habe es zu deren Gründung auch finanzielle Anreize gegeben. Dort arbeiteten laut der Untersuchung 2022 fast 70 Prozent der Allgemeinmediziner in einer Gruppenpraxis (2010: 54 Prozent). Im Unterschied dazu habe in Deutschland 2021 noch etwas mehr als jeder Zweite eine Einzelpraxis betrieben.

Während beide Länder laut der Untersuchung im ambulanten Sektor über eine ähnliche Anzahl von Ärzten im Verhältnis zur Einwohnerzahl verfügen, gibt es aber in Frankreich einen deutlich höheren Anteil von Allge­meinmedizinern (107 pro 100.000 Einwohner in Frankreich, hierzulande 66). In Deutschland hingegen gibt es mehr Fachärzte (117 pro 100.000 Einwohner, in Frankreich 83).

Keine Bedarfsplanung in Frankreich

Eine Bedarfsplanung wie in Deutschland existiert der Untersuchung zufolge in Frankreich nicht: Ärzte dürften sich ansiedeln, wo sie möchten. Das führe auch zu sogenannten „deserts médicaux“: medizinischen Wüsten. Finanzielle Anreize, um der Entwicklung entgegenzuwirken, hätten sich bisher nicht als sehr wirksam erwie­sen, sagte IRDES-Direktor Denis Raynaud. Im Vergleich dazu sei die Ärzteverteilung in Deutschland harmo­nischer.

In dem Webinar wurde deutlich, dass sich die Gesundheitssysteme beider Länder in etlichen Punkten unter­scheiden. So haben Französinnen und Franzosen etwa keine Möglichkeit, sich eine Krankenkasse auszusu­chen, wie Raynaud schilderte. Es gebe zwar ebenfalls einen universellen Gesundheitsschutz mit verpflichten­der Krankenversicherung, aber die Mitgliedschaft geschehe automatisch. Auch durch die zentralisierte Ver­waltung in Frankreich ergäben sich Unterschiede zum föderalen deutschen System.

Private Zusatzversicherungen in Frankreich sehr verbreitet

Der Studie zufolge gibt es in Frankreich Kostenbeteiligungen bei allen Arten der Gesundheitsversorgung. Deshalb hätten 96 Prozent der Bevölkerung private Zusatzversicherungen. Diese spielten hierzulande eine deutlich geringere Rolle, da für gesetzlich Versicherte etwa keine Kosten für Arztbesuche entstünden und auch die Zuzahlung zu Medikamenten gering seien.

Auffällig bei den Arzneimittelgruppen (gerechnet auf Tagesdosen pro 1000 Einwohner) ist, dass in Frankreich fast 15-mal mehr Hypnotika/Beruhigungsmittel und 15-mal mehr Anxiolytika als in Deutschland verschrieben werden. Auch bei Antibiotika und Sexualhormonen übersteigt Frankreich das deutsche Niveau um je rund das 2,5-Fache.

Diese Zahlen werfen der Analyse zufolge die Frage nach der Qualität von Verschreibungen in Frankreich auf. Generell sei das Qualitätsmonitoring im ambulanten Bereich in Deutschland fortgeschrittener und die Ver­sorgung stärker reguliert, heißt es.

Der Verdienst im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen liegt für die meisten Fachrichtungen in Deutsch­land höher als in Frankreich, heißt es in der Studie. Ausnahmen seien die Chirurgie, Kardiologie und HNO: Dabei verdiene man in Frankreich das 6,2- bis 4,5-fache des französischen Durchschnittseinkommens, wäh­rend es in Deutschland das 5,4- bis 4,3-fache des hiesigen Durchschnittswertes ist. Generell seien hierzulan­de die Gehaltsunterschiede zwischen den verschiedenen Arztgruppen weniger stark ausgeprägt als in Frankreich.

Viel mehr Krankenhausbetten in Deutschland

Die Arbeit widmet sich zwar im Kern dem ambulanten Sektor, es wird aber auch auf die Krankenhausbetten Bezug genommen. Deren Anzahl pro 1000 Einwohner in Deutschland von 7,8 im Jahr 2021 übersteige das Niveau Frankreichs (5,2) deutlich, womit auch Probleme bei der Pflegepersonalausstattung einhergingen, sagte Raynaud. In der Untersuchung ist mit Blick auf Deutschland von Überkapazitäten die Rede und einer hohen Rate an vermeidbaren Krankenhauseinweisungen.

Dies werfe auch Fragen nach der Angemessenheit der Krankenhausversorgung auf, während niedrige Betten­belegungsraten auch problematisch für die finanzielle Tragfähigkeit der Einrichtungen seien. Frankreich setze stattdessen stärker auf Tagesbehandlungen in Krankenhäusern als Deutschland (1,22 Day Care Beds pro 1000 Einwohner im Vergleich zu 0,36 im Jahr 2021).

Zu den weiteren wesentlichen Unterschieden zwischen den Gesundheitssystemen, die in der Arbeit herausge­stellt werden, gehört die Rolle nicht-medizinischer Psychotherapeuten. In Frankreich würden diese nicht als Gesundheitsfachkräfte anerkannt, es mangele an einheitlichen Ausbildungskriterien. Erst seit 2022 gebe es im Nachbarland ein Programm, im Zuge dessen pro Jahr bis zu acht Therapieeinheiten bei registrierten Psychologen von der Kasse erstattet werden.

Deutschland und Frankreich gehören – in dieser Reihenfolge – hinter den USA zu den Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.

Mehrere Fachleute in dem Webinar machten deutlich, dass man nicht ein Element aus einem der Gesundheitssysteme auf das andere übertragen könne. Der Vergleich könne aber Anregungen bieten.

Zu den Voraussetzungen in Deutschland und aktuellen Herausforderungen wie der Krankenhausreform und der Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem äußerten sich in der Veranstaltung Bernhard Gibis von der kassenärztlichen Vereinigung (KBV) und Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung.

ggr

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