30 Minuten Bewegung am Morgen können Blutdruck über den Rest des Tages senken
Der typische Hypertoniker ist über 55 Jahre alt, übergewichtig bis fettleibig, und er vermeidet es nach Möglichkeit, sich zu bewegen. Tagsüber hat er (oder sie) eine sitzende Tätigkeit, zur Arbeit wird mit dem Auto gependelt und den Feierabend verbringen Hypertoniker vor dem Fernseher, im Sommer gerne auch beim Grillen. Die Verordnung besteht in einem Hypertonikum (meist mit mehreren Wirkstoffen). Außerdem werden Blutlipide und Blutzucker kontrolliert und bei Bedarf behandelt.
Gibt es eine Alternative? Vielleicht. Ein Forscherteam am Baker Heart and Diabetes Institute in Melbourne hat 67 bewegungsarme Hypertoniker im Alter zwischen 55 und 80 Jahren an drei Tagen eingeladen, sich im Labor zu entspannen. Am ersten Tag sollten sie es sich in einem Loungesessel bequem machen. Sie wurden gebeten, auf unnötige Bewegung zu verzichten und auch alle Aktivitäten zu vermeiden, die den Geist anstrengen könnten wie Kreuzworträtsel oder Sudoku. Für Frühstück und Mittag war gesorgt.
Am zweiten Tag sollten es sich die Teilnehmer ebenfalls zunächst bequem machen. Nach einer Stunde wurden sie jedoch aufgefordert, ihren „stationären Zustand“ zu beenden und an einem 30-minütigen Sportprogramm teilzunehmen. Auf einem motorisierten Laufband wurden sie auf 65 bis 75 Prozent ihrer maximalen Herzfrequenz belastet. Danach durften sich die Teilnehmer für die restlichen sechseinhalb Stunden wieder entspannen.
Am dritten Tag wurde es noch unangenehmer. Nach dem 30-minütigen Sportprogramm durften die Teilnehmer zwar wieder auf den Loungesessel. Bereits nach 30 Minuten wurden sie jedoch erneut aufgescheucht. Für drei Minuten mussten sie auf dem Laufband gehen (mit 3,2 km/h). Diese Übungen wurden alle 30 Minuten wiederholt.
Endpunkt der Studie waren der Blutdruck und die Konzentration von Adrenalin/Noradrenalin im Plasma. Um eine Nachwirkung auf den nächsten Tag zu vermeiden, lag zwischen den drei Studientagen jeweils eine Woche.
Das Ergebnis? Schon die 30-minütige Unterbrechung der Gemütlichkeit wirkte sich günstig auf den Blutdruck aus. Der systolische Wert sank für den Rest des Tages um 3,4 mmHg. Beim diastolischen Wert kam es lediglich zu einem Rückgang um 0,8 mmHg. Der systolische Blutdruck ist Ausdruck der Elastizität der Gefäßwände in den großen Arterien. Hier scheint sich eine kurze morgendliche „Dehnungsübung“ günstig auszuwirken.
Der Effekt kann durch die kurzen dreiminütigen Unterbrechungen noch gesteigert werden. Der systolische Blutdruck verminderte sich dabei noch eimal um 1,7 mmHg, sodass es zu einer Differenz von 5,1 mmHg gegenüber dem ersten Tag kam. Beim diastolischen Wert betrug die Differenz zum ersten Tag 1,1 mmHg. Bei Frauen war sogar ein zusätzlicher Rückgang um 3,2 mmHg (im Vergleich zu Tag zwei) nachweisbar.
Interessant sind die Auswirkungen auf das Nordadrenalin. Hier kam es an den Tagen zwei und drei bei den Frauen zu einem Rückgang, bei den Männern dagegen zu einem Anstieg. Offenbar war die Aufforderung, sich aus den bequemeren Sesseln zu entfernen, für Männer mit einem Stress verbunden, während Frauen das Ganze entspannter sahen.
Die Vorteile sollten nicht unterschätzt werden. Die Differenz beim systolischen Blutdruck kann durchaus mit der Wirkung eines Hochdruckmedikaments verglichen werden. Gleichwohl ist die Übertragung auf den Alltag fraglich. Unter den Laborbedingungen mussten alle Teilnehmer die Couch verlassen. Im normalen Arbeitsleben wird dies nicht so einfach sein. Der Arbeitgeber müsste wohl strukturelle Änderungen am Arbeitsplatz vornehmen oder die Parkplätze im Keller durch Übungsräume ersetzen. Die Arbeiter könnten die Autos ja weiter außerhalb parken und die letzte Strecke mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: