Die zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit im Jahr 2019
Zu Beginn des Jahres hat die WHO eine Liste der aus ihrer Sicht zehn größten Risiken für die globale Gesundheit vorgestellt: Luftverschmutzung und Klimawandel, nichtübertragbare Erkrankungen, die globale Influenzapandemie, fragile und ungeschützte Umgebungen, Antibiotikaresistenzen, Ebola und andere stark bedrohliche Erreger, schwache primäre Gesundheitsversorgung, Impfvermeidungen und ‑verzögerungen, Dengue und HIV/Aids.
So eine Liste ist immer subjektiv, so eine Liste muss unvollständig sein und derjenige, der so eine Liste vorstellt, setzt sich leicht lautem Widerspruch und harter Kritik aus. Mein Ziel ist nicht, die Zusammenstellung dieser Liste zu hinterfragen, nach Lücken zu suchen, nach bedeutenden Risiken, die keine Berücksichtigung finden, oder die erklärte Größe und Gefahr genannter Risiken zu kritisieren. Das Ziel der WHO, die Aufmerksamkeit auf einige der größten Gesundheitsrisiken zu lenken, ist richtig, und daher sollten wir uns mit den genannten Risiken auseinandersetzen und nach Wegen suchen, wie wir diesen Risiken begegnen, auf lokaler, nationaler und globaler Ebene.
Einige der genannten Risiken beherrschen bereits die aktuellen öffentlichen Debatten, andere werden nurmehr in Fachkreisen diskutiert jenseits der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit.
Seit Monaten diskutieren wir in Deutschland über Obergrenzen für die Belastung mit Feinstaub und Stickoxiden, über Fahrverbote in Innenstädten und über Tempolimits auf Autobahnen. Mit den „Fridays for Future“-Demonstrationen inspiriert durch die schwedische Schülerin Greta Thunberg machen überwiegend Schüler jeden Freitag weltweit auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam und fordern die Verantwortlichen zum Umdenken und Handeln auf.
Die globale HIV-Pandemie ist ebenfalls in die breite öffentliche Wahrnehmung vorgedrungen, eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen Herausforderungen dieser Pandemie findet jedoch zu selten statt – noch immer wird die Erkrankung viel zu oft als alleiniges Problem Afrikas und als Krankheit Homosexueller wahrgenommen.
In unseren Wintermonaten, in denen viele Menschen an einer Grippe oder an grippeähnlichen Infektionen erkranken, ist die Gefahr der Grippe sicherlich auch bei vielen ein Thema, jedoch eher auf individueller Ebene; als mögliche globale Gesundheitsgefahr wird die Grippe zu selten wahrgenommen. So erklären sich auch die niedrigen Impfraten, die weit hinter den Empfehlungen zurückbleiben. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts waren in der Saison 2016/17 in der Gruppe der über 60-jährigen in Deutschland beispielsweise nur knapp 35 Prozent geimpft (die Europäische Union strebte hier Quoten von mindestens 75 Prozent an).
Aber nicht nur bei der Influenzaimpfung bleiben die Impfraten hinter den Zielen zurück. Viele infektionserkrankungen lassen sich durch Impfungen kontrollieren, schwere Erkrankungen und zahlreiche Todesfälle können so vermieden werden. In manchen Regionen sind es Armut und schwache Staats- und Gesundheitssysteme, die für niedrige Impfraten verantwortlich sind. Aber auch in Ländern und Regionen, in denen weder die Verfügbarkeit noch die Erschwinglichkeit der Impfstoffe ein Problem sind, bleiben die Impfraten hinter den Zielen zurück – verschiedentliche Vorbehalte oft streitbarer Impfgegner sind hier ein wichtiger Grund.
Nichtübertragbare Erkrankungen werden noch immer weitgehend als ein Problem der Länder hoher Einkommen gesehen, während die Einstellung vorherrscht, in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen würden die Menschen und die Gesundheitssysteme überwiegend unter übertragbaren Erkrankungen (besonders HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose) leiden. Diese Wahrnehmung übersieht, dass 80 Prozent der weltweiten Todesfälle infolge nichtübertragbarer Erkrankungen in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen vorkommen.
Kriege und Konflikte, Flucht und Vertreibung, Armut und die Folgen des Klimawandels sowie das Leben unter autoritären Regimen, die oft die Bedürfnisse und Rechte großer Teile ihrer Bevölkerungen nicht schützen und respektieren, verursachen zahllose Krankheits- und Todesfälle. Diese Lebensbedingungen kommen oft mit schwachen Gesundheitssystemen zusammen, in denen oft nicht einmal eine ausreichende primäre, ambulante Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, sodass Erkrankungen, die auch unter einfachen Bedingungen und mit nur sehr eingeschränkten Ressourcen zu behandeln wären, zum Tod, zu schwerer Behinderung oder zu anhaltender Funktionseinschränkung führen können.
Malaria und Dengue, HIV und Tuberkulose sind in unserer Vorstellung Erkrankungen, die Menschen in den Tropen gefährlich werden, uns aber nur wenig und vielleicht bei Urlaubsreisen betreffen. Die Ebolaepidemie in Westafrika 2014/2015, die sich über mehrere Monate unkontrolliert ausbreitete und auch bei uns Angst vor Infektionen und einer Ausbreitung auslöste, hat einige wachgerüttelt und uns schmerzlich vor Augen geführt, dass die Probleme der vermeintlich fern liegenden „armen Länder“ Afrikas rasch auch zu unseren Problemen werden können.
Aber nicht alle Gefahren kommen aus der Ferne. Bereits jetzt gibt es beängstigende „Killerkeime“, die sich auch in unseren Kliniken ausbreiten und Tode verursachen – gefährliche multiresistente Bakterien, die Resistenzen gegen alle gängigen Antibiotika ausgebildet haben und gegen die wir auch mit allen Mitteln der entwickelten Hochleistungsmedizin machtlos sind.
Die zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit aus Sicht der WHO umfassen sicher nicht alle aktuellen großen Gefahren für die globale Gesundheit. Sie geben jedoch einen Überblick über die Größe und Komplexität der Herausforderungen, vor denen wir stehen und denen wir nicht mit einfachen eindimensionalen Ansätzen begegnen können.
In den kommenden Beiträgen in diesem Blog werde ich mich mit diesen zehn Risiken befassen.
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