Hochschultag beleuchtet Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Politik

Berlin – Politik ist keine Wissenschaft und Wissenschaft keine Politik. Auf diese einfache Formel lässt sich der Tenor der heutigen Diskussionsveranstaltung des Deutschen Hochschulverbands (DHV)-Tages in Berlin zusammenfassen. Unter dem Motto „Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt“ diskutierten heute Wissenschaftler ihre Rolle im gesellschaftlichen System.
„Wissenschaft und Politik stehen in einem prekären Verhältnis zueinander“, sagte Bernhard Kempen, Präsident des DHV, zur Eröffnung des DHV-Tages. Die Paartherapie würde vermutlich Kommunikationsprobleme diagnostizieren. Diese Diagnose hält Kempen auch für teilweise richtig: „Wissenschaftssprache wird von der Politik nicht verstanden und Wissenschaftler können nichts mit den Vereinfachungen der Politik anfangen“, sagte er.
Doch die Unterschiede zwischen Wissenschaft und Politik seien noch viel grundsätzlicher: Während die Wissenschaft auf der Suche nach Wahrheit sei, befände sich die Politik auf der Suche nach Wählerstimmen, so Kempen. Und während sich für die Wissenschaft mit jedem neuen Fortschritt ein Bündel neuer Fragen auftäte, suche die Politik nicht nach vagen Konzepten, da die Gesellschaft von ihnen Verlässlichkeit erwarte.
Dass trotz der großen Unterschiede zwischen Wissenschaft und Politik jedoch ein Transfer von der Wissenschaft in die Politik wichtig ist, zeigte sich während der Pandemie. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen waren in politischen Entscheidungsprozessen gefragter und sichtbarer als je zuvor.
„Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Politik muss jedoch sicher und ertragreich gestaltet werden“, betonte Kempen. Dabei gibt es nach seiner Ansicht zwei rote Linien: Wahrhaftigkeit und Verantwortung.
Die Wissenschaft müsse den aktuellen wissenschaftlichen Stand präzise wiedergeben und frei von Interessen sein, sagte der DHV-Präsident. Die Politik wiederum müsse wissenschaftliche Expertise sachbezogen auswählen und dürfe nicht interessenbezogen agieren.
Zudem müssten von Wissenschaft und Politik gesellschaftliche Folgen von Entscheidungen mitgedacht werden. Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Gesellschaft sei entsprechend des Wissenschaftsrates eine Kernaufgabe von wissenschaftlichen Einrichtungen, sagte Armin Nassehi, Soziologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Doch während Wissenschaft jede wahrheitsfähige Aussage wieder infrage stelle, agiere Politik völlig anders. „Politik verwendet wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nach wissenschaftlichen Regeln, sondern sie trifft Entscheidungen in unklaren Situationen“, erklärte er.
Auch Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin, wies auf die unterschiedliche Denkart der Systeme hin. „Wir brauchen mehr Verständnis ganz füreinander“, sagte sie mit Blick auf das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik beziehungsweise den Medien.
Während es in der Wissenschaft um die Produktion möglichst gesicherten, aber nicht endgültigen Wissens gehe, das von einer Vielzahl von Forscherinnen und Forschern geprüft sei, sei die Politik auf Kompromisse und Machterhalt eingestellt. Es gehe darum, Unterstützung für Entscheidungen zu gewinnen. Einen Austausch zwischen den beiden verschiedenen Systemen hält sie aber für „sehr gewinnbringend“.
„Eine Distanz zwischen den Systemen bleibt aber immer notwendig“, meinte Klaus Ferdinand Gärditz, Professor für Öffentliches Recht in Bonn. Wissenschaftliche Erkenntnisse blieben für die Gesellschaft nur von Wert, wenn die Wissenschaft sich treu bleibe. „Wissenschaft muss Teil von potenzieller Gegenöffentlichkeit bleiben“, forderte er. „Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft lebt durch das Zurückdrängen von politischen Intentionen.“
Die Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern liege darin, offen zu legen, „unter welchem Hut“ sie sprächen: ob als Wissenschaftler oder als Sprachrohr der Politik, meinte der Jurist. Für problematisch hält er politikberatende Gremien, wie etwa den Deutschen Ethikrat und die Leopoldina. Hier werde mit Stellungnahmen bewusst Politiknähe produziert. „Das Problem ist jedoch, dass solche Gremien in der Öffentlichkeit als Stimme der Wissenschaft wahrgenommen werden“, sagte er.
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