Studierende sind stärker emotional erschöpft als vor der Pandemie

Berlin – Studierende fühlen sich nach eigenen Angaben stärker emotional belastet und gestresst. Sie leiden stärker unter Rücken- und Kopfschmerzen und nehmen mehr Psychopharmaka ein als noch im Jahr 2015. Das ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage für die Techniker Krankenkasse (TK), die heute in Berlin vorgestellt wurde.
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte im Januar 2023 rund tausend Studierende zu ihrer Gesundheit. Mit 68 Prozent geben zwei Drittel an, in den vergangenen zwölf Monaten durch Stress erschöpft gewesen zu sein oder es aktuell zu sein. 2015 waren dies 44 Prozent.
Mit 55 Prozent klagt mehr als die Hälfte der Befragten über Kopfschmerzen, nach 47 Prozent 2015. Ebenfalls 55 Prozent sind von Rückenschmerzen betroffen, nach 40 Prozent 2015. 53 Prozent leiden unter Konzentrationsstörungen, nach 21 Prozent 2015. 43 Prozent haben Schlafprobleme, nach 27 Prozent 2015.
Studentinnen sind deutlich stärker belastet
Insgesamt fühlen sich 37 Prozent der Studierenden stark emotional erschöpft. 2015 waren dies noch 25 Prozent.
„Emotionale Erschöpfung gehört zu den Leitsymptomen für drohenden Burnout“, erklärte Bertolt Meyer, Professor für Arbeits- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Er wies auch auf deutliche Geschlechterunterschiede hin: „Studentinnen sind deutlich stärker belastet, die Unterschiede machen zum Teil zehn Prozentpunkte aus.“
Zu den Hauptbelastungsfaktoren der Studentinnen und Studenten gehören der Forsa-Umfrage zufolge Prüfungen mit 51 Prozent, Mehrfachbelastung durch Studium und den Job nebenbei mit 33 Prozent, Angst vor schlechten Noten mit 28 Prozent, schwieriger oder umfangreicher Lernstoff mit 28 Prozent sowie finanzielle Sorgen mit 23 Prozent.
35 Prozent fühlen sich zudem nach der Umfrage durch die Folgen der Coronapandemie belastet: 71 Prozent geben an, durch die pandemiebedingte Digitalisierung des Studienalltags, der zum Teil weitergeführt wurde, Sozialkontakte verloren zu haben. Bei 44 Prozent hat die zunehmende Digitalisierung zu Einsamkeit geführt.
Medizinstudierende im Mittelfeld hinsichtlich emotionaler Erschöpfung
Besonders betroffen von hoher emotionaler Erschöpfung sind der Umfrage zufolge die Studierenden der Sprach- und Kulturwissenschaften mit 56 Prozent, gefolgt von den angehenden Juristen mit 44 Prozent und den Fachbereichen Medizin, Gesundheitswissenschaften und Psychologie sowie der Gruppe der Geistes- und Sozialwissenschaften und Pädagogik mit jeweils 40 Prozent. Am wenigsten belastet fühlen sich mit 26 Prozent Studierende von Kunst und Kunstwissenschaften.
Die psychische Belastung spiegelt sich dem Vertreter des AQUA-Instituts (Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen) zufolge auch bei den Verordnungen von Psychopharmaka wider. Thomas Grobe berichtete, dass die Verordnungen von Antidepressiva bei TK-versicherten Studentinnen zwischen 2019 und 2022 um 38,1 Prozent angestiegen sind, bei Studenten um 18,3 Prozent.
Insgesamt erhielten fünf Prozent aller Studierenden Antidepressiva verordnet. Der stärkste Anstieg war nach Auswertungen des AQUA-Instituts bei den Verordnungen von ADHS-Arzneimitteln für weibliche Studierende zu verzeichnen: sie erhielten 2022 142 Prozent mehr Mittel gegen Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen als 2019.
Bei männlichen Studierenden stieg der entsprechende Anteil um 51 Prozent. Insgesamt erhielten 1,2 Prozent aller TK-versicherten Studierenden ADHS-Arzneimittel. Die ADHS-Diagnosen nehmen bei Studentinnen um 37 Prozent zu; bei Studenten um 24 Prozent.
Auch die Studierendenwerke stellen fest, dass die psychische Belastung bei Studierenden zunimmt. Angesichts „multipler Krisen“ habe die Nachfrage an psychologischen Unterstützungsangebote stark zugenommen, teilte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks, Matthias Anbuhl, mit.
Die psychologischen Beratungsstellen würden förmlich überrannt; an manchen Standorten habe sich die Wartezeit vervielfacht. Dabei sei die Belastungslage heute „deutlich existenzieller“ und „gravierender“ als vor der Pandemie, so Anbuhl. „Es geht um soziale Isolation und Vereinsamung, die grundsätzliche Infragestellung des Studiums, und in hohem Maße auch um depressive Verstimmungen, Hoffnungslosigkeit, bis hin zu suizidalen Gedanken.“
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