Medizin

Beckenbodentraining: Gruppentherapie statt Apps auf dem Handy

  • Freitag, 2. Oktober 2020
Ältere Frau macht eine Übung für den Beckenboden. /Viacheslav Iakobchuk stock.adobe.com
/Viacheslav Iakobchuk stock.adobe.com

Montreal und Vancouver – Das Beckenbodentraining gehört zu den effektiven, aber selten genutzten Behandlungen der Harninkontinenz, weil eine Einzeltherapie kostspielig ist und die Eigeninitiative auch mit Unterstützung von Smartphone-Apps selten gelingt. Eine Gruppentherapie könnte nach den Ergebnissen einer randomisierten Studie in JAMA In­ter­nal Medicine (2020; DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.2993) ein effektiver Kom­pro­miss sein.

Ein regelmäßiges Beckenbodentraining, nach seinem Erfinder auch als Kegelübungen be­zeichnet, kann eine Harninkontinenz vermindern und im Anfangsstadium auch beseiti­gen. Obwohl die Behandlung in mindestens 24 randomisierten Studien klinisch geprüft wurde, wird sie relativ selten und nur von hochmotivierten Patientinnen angewendet.

Ärzte sind bei der Verordnung zurückhaltend, da die Behandlung im Prinzip banal ist und eine Physiotherapie deshalb als überteuert empfunden wird. Apps für das Smartphone sind keine wirkliche Alternative, zumal die Programme selten mit professioneller Unter­stützung von Ärzten oder Physiotherapeuten erstellt werden und in ihrer Wirksamkeit noch seltener überprüft wurden, wie Lynn Stothers von der Universität Vancouver jüngst in einer Analyse von 20 ausgewählten Apps herausfand.

Die Apps erreichten in der „Mobile App Rating Scale“ (MARS), die Qualität, Funktionalität und Information bewertet, im Durchschnitt nur 2,9 von 5 möglichen Punkten. Nur für eine Studie konnte Stothers eine externe Validierung nachweisen (Urology 2020; DOI: 10.1016/j.urology.2020.08.040).

Eine effektive Schulung besteht in der Regel aus 12 Sitzungen, bei der eine Physiothera­peutin die Prinzipien des Beckenbodentrainings erläutert und die Technik dann mit den Patientinnen übt. Wichtig ist dabei, die Übungen, die die Frauen später alleine weiterfüh­ren müssen, in Aktivitäten des täglichen Lebens zu integrieren.

Chantale Dumoulin von der Universität Montreal und Mitarbeiter haben in einer randomi­sierten Studie untersucht, ob die Behandlung auch als Gruppentherapie möglich ist. Da­bei findet nur die erste von 12 Sitzungen als Einzelberatung statt. Danach treffen sich die Frauen regelmäßig in Gruppen mit der Therapeutin.

Das neue Konzept wurde an 362 älteren Patientinnen mit Stress- oder gemischter Harn­in­kontinenz erprobt. Die Patientinnen wurden nach dem Zufallsprinzip einer Einzelthe­rapie oder einer Gruppentherapie mit acht Patientinnen zugewiesen. Der primäre End­punkt der Studie war die prozentuale Verringerung der Harninkontinenz-Episoden, die die Patientinnen nach dem Ende der 12-wöchigen Therapie und nach einem Jahr in einem „Blasentagebuch“ notierten.

Wie Dumoulin berichtet, kam es unter der Einzeltherapie zu einem Rückgang der Lecka­geepisoden von 1,57 pro Tag zu Beginn der Studie um 70 % auf 0,43 pro Tag nach einem Jahr. In der Gruppentherapie betrug der Rückgang 74 % von 1,43 auf 0,43 Leckageepiso­den pro Tag. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war minimal und statistisch nicht signifikant.

Auch in den sekundären Endpunkten waren die Ergebnisse ähnlich gut. Nach einem Jahr beurteilten 138 von 184 Patientinnen (85 %) die Einzeltherapie für sich als wirksam, nach der Gruppentherapie waren es 132 von 178 Patientinnen (86 %). Der Zufriedenheitsgrad lag bei 90 beziehungsweise 91 %. Ein Grund für den Erfolg war sicherlich die hohe Moti­vation der Teilnehmerinnen.

Während der 12-wöchigen Therapiephase gaben 89 % der Patientinnen in Einzeltherapie und 86 % der Teilnehmerinnen der Gruppentherapie an, dass sie die Übungen wie em­pfohlen 4 bis 5 Mal pro Woche zuhause durchführen. Später wurde das Beckenboden­trai­ning von 67 % und 69 % wenigstens einmal pro Woche praktiziert.

rme

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