Medizin

Chloroquin/Hydro­xychloroquin mit Herzrhythmus­störungen und erhöhter Mortalität verbunden

  • Montag, 25. Mai 2020
/alexandra, stock.adobe.com
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Boston − Die Malariamittel Chloroquin und Hydroxychloroquin, die aufgrund von Labor­experimenten und eher anekdotischen klinischen Erfahrungen vielerorts zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 eingesetzt werden, haben sich in einer großen internationalen Beobachtungsstudie nicht nur als unwirksam erwiesen. Nach den im Lancet (2020; DOI: 10.1016/S0140-6736(20)31180-6) publizierten Ergebnissen muss auch mit einem Anstieg von kardialen Arrhythmien und Todesfällen gerechnet werden.

Die Auswertung des internationalen Patientenregisters Surgisphere, die Mandeep Mehra vom Brigham and Women's Hospital in Boston und Mitarbeiter vorstellen, zeigt, wie beliebt Chloroquin und Hydroxychloroquin derzeit sind.

Von den 96.032 COVID-19-Patienten, die an 671 Kliniken behandelt wurden, waren 14.888 Patienten, also fast jeder sechste, mit Chloroquin/Hydroxychloroquin behandelt worden, die meisten davon in Kombination mit Azithromycin oder einem anderen Makrolid-Antibiotikum.

Der Grund sind vor allem die Anfang April von französischen Tropenmedizinern vorge­stellten Ergebnisse einer kleineren Studie, in der sich COVID-19-Patienten unter der Behandlung mit Hydroxychloroquin rasch erholt hatten, vor allem wenn das Malariamittel in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin eingesetzt wurde.

Die Behandlung wurde so populär, dass sich die US-Arzneimittelbehörde FDA dem öffentlichen Druck beugte und das Mittel auch ohne den Wirkungsbeleg aus Phase- 3-Studien für die Verwendung in einer „Emergency Use Authorization“ genehmigte, entgegen Warnungen von Pharmakologen, die auf mögliche Komplikationen hingewiesen hatten.

Hydroxychloroquin verlängert die QT-Zeit im EKG, was insbesondere bei Patienten mit kardialen Vorschäden zu lebensgefährlichen Komplikationen führen kann. Viele COVID-19-Patienten haben kardiale Vorschäden, da kardiometabolische Erkrankungen zu den Risikofaktoren gehören.

Diese Gefahren werden in der klinischen Praxis offenbar nicht immer beachtet, denn die Patienten, die mit Chloroquin/Hydroxychloroquin (eventuell) in Kombination mit einem Makrolid behandelt wurden, wiesen mindestens so häufig kardiale Risikofaktoren auf wie die Kontrollgruppe von COVID-19-Patienten, bei denen die Ärzte auf die Gabe von Chloroquin/Hydroxychloroquin verzichtet hatten.

Eine mögliche Folge war ein gehäuftes Auftreten von neuen ventrikulären Arrhythmien, die bei 4,3 % beziehungsweise 6,1 % der Patienten auftraten, die allein mit Chloro­quin/Hydroxychloroquin behandelt worden waren. Wurden das Malariamittel mit einen Makrolid-Antibiotikum kombiniert, stieg die Häufigkeit von neuen ventrikulären Arrhythmien auf 6,5 % beziehungsweise 8,1 %. Patienten, die nicht mit Chloro­quin/Hydro­xychloroquin behandelt wurden, erlitten nur zu 0,3 % eine neue ventrikuläre Arrhythmie.

Mehra ermittelt in einer Regressionsanalyse Hazard Ratios von 2,369 bis 5,106 für die einzelnen Kombinationen. Das bedeutet, dass neue ventrikuläre Arrhythmien bei den Patienten, die mit Chloroquin/Hydroxychloroquin mit/ohne Makrolid behandelt wurden, etwa 2 bis 5 Mal häufiger auftraten.

Ob diese Arrhythmien mit für die schlechteren Behandlungsergebnisse der Patienten verantwortlich sind, kann eine retrospektive Studie nicht klären. Es bleibt möglich, dass Chloroquin/Hydroxychloroquin bevorzugt bei Patienten mit schlechteren Überlebens­chancen eingesetzt wurde.

Am Ende starben jedoch deutlich mehr Patienten, die die Malariamittel erhalten hatten: Von den Patienten, die Chloroquin erhalten hatten, starben 16,4 %, beziehungsweise 22,2 %, wenn sie zusätzlich ein Makrolid erhalten hatten. Bei der Gabe von Hydroxy­chloroquin betrug die Sterblichkeit 18,0 % beziehungsweise 23,8 %.

In der Vergleichsgruppe ohne Chloroquin/Hydroxychloroquin starben dagegen nur 9,3 %. Die adjustierten Hazard Ratios lagen zwischen 1,335 und 1,447 und waren in allen Fällen statistisch signifikant.

Trotz aller Einschränkungen, die bei der Analyse von Patientenregistern zu beachten sind, lassen die Ergebnisse befürchten, dass der Einsatz des Malariamittels nicht nur nutzlos, sondern möglicherweise auch gefährlich ist. Endgültige Klarheit werden hier aber erst die laufenden randomisierten Studien ergeben.

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Hinweis der Redaktion: Zwei Surgisphere-Studien wurden mittlerweile zurückgezogen. Mehr Informationen dazu gibt es hier.

rme

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