COVID-19: Immunität schützt eher vor Ansteckung als vor Weitergabe der Viren

Genf – Impfungen und stärker noch frühere Erkrankungen an COVID-19 schützen Menschen eher vor einer Infektion mit SARS-CoV-2, als dass sie im Krankheitsfall die Weitergabe der Viren an andere Menschen verhindern. Das zeigt die Analyse eines Kontaktregisters aus der Schweiz in Nature Communications (2023; DOI: 10.1038/s41467-023-41109-9). Die Schutzwirkung durch eine frühere Erkrankung war stärker als durch eine Impfung, sie war allerdings von kürzerer Dauer.
Die Gesundheitsbehörde von Genf hat gleich zu Beginn der Pandemie ein Register für alle dokumentierten Infektionen und ihre Kontakte eingerichtet. Bis März 2022, als die Kontaktverfolgungen beendet wurden, hat das „Actionable Register of Geneva Outpatients and Inpatients with SARS-CoV-2“ (ARGOS) die Daten von 50.973 Infizierten (Index-Personen) und 111.674 Kontakten gesammelt.
Denis Mongin von der Universität Genf und Mitarbeiter haben die sekundäre Erkrankungsrate („secondary attack rate“, SAR) für eine folgende Index-Kontakt-Dyade ermittelt: 2 asymptomatische erwachsene Männer, weder geimpft noch mit einer vorangegangenen Infektion, im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, leben in einem wohlhabenden Viertel zusammen in einem Haus. Der Indexfall war nicht fettleibig und keine gefährdete Person. Die Kontaktperson hatte in den letzten 3 Monaten einen Test durchgeführt.
In diesem Szenario hat sich ungefähr 1 von 3 Kontakten bei dem Index-Patienten infiziert. Die SAR betrug in der 1. Welle 34,4 %. Sie sank bei der nächsten Alpha-Welle auf 29,9 %, stieg in der Delta-Welle auf 32,6 % und war mit 40,6 % in der ersten Omikron-Welle am höchsten.
Die Forscher haben dann untersucht, welchen Einfluss die Immunität der Index-Person oder der Kontaktperson auf die SAR hatte. Die 1. Analyse betrifft die Ansteckungsgefahr durch den Infizierten, die 2. Analyse das Ansteckungsrisiko für die Kontaktperson.
Ergebnis: Der Einfluss der Immunität der Index-Person war insgesamt geringer. Eine frühere Infektion verminderte die SAR (alle Zahlen zur Omikron-Welle) um 4,3 Prozentpunkte. Bei einer Impfung der Index-Person, die weniger als 6 Monate zurücklag, sank die SAR um 2,7 Prozentpunkte. Bei einer Impfung, die länger als 6 Monate zurücklag, sank die SAR um 6,5 Prozentpunkte.
Die Impfung scheint hier eine längerfristige Schutzwirkung zu erzielen, möglicherweise weil sie die Ausscheidung von Viren bei einer (zumeist milden) Durchbruchinfektion in Grenzen hält. Eine symptomatische Durchbruchinfektion erhöhte die SAR um 5,2 Prozentpunkte, Husten um 1,6 Prozentpunkte.
Der Kontakt war dagegen durch eine frühere Erkrankung am besten vor einer Ansteckung durch seinen Mitbewohner geschützt. Wenn seine letzte Erkrankung an COVID-19 weniger als 6 Monate zurücklag, sank die SAR um 31,9 Prozentpunkte.
Bei einer Ausgangs-SAR von 40,6 % blieb allerdings noch ein gewisses Restrisiko auf eine erneute Erkrankung. Der Immunschutz durch die Erkrankung ließ allerdings rasch nach. Eine mehr als 6 Monate zurückliegende Erkrankung senkte die SAR, als die Gefahr eine Ansteckung durch den Mitbewohner, noch um 4,4 Prozentpunkte.
Eine Impfung hat die Kontakte während der ersten Omikron-Welle nicht vor einer Ansteckung geschützt. Im Gegenteil: Die SAR stieg sogar in den ersten 6 Monaten um 6,9 Prozentpunkte und danach um 13,3 Prozentpunkte.
Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Impfstoff versagt hat. Seine Stärke bestand in der Omikron-Welle in der Vermeidung schwerer Erkrankungen – und das wurde in der Studie nicht untersucht. Es könnte aber sein, dass sich geimpfte Personen bei einer Erkrankung ihres Partners zu sehr in Sicherheit gewogen haben und auf andere Schutzmaßnahmen verzichteten, vermutet Mongin.
Für die kommende Welle wäre es demnach unklug, sich allein auf die Impfstoffe zu verlassen. Diese seien zwar nützlich, um die Ansteckungsgefahr zu begrenzen, schreibt Mongin. Insbesondere für Pflegekräfte und sehr alte und/oder gebrechliche Menschen sollten sie im Fall einer neuen Welle nicht die einzige Maßnahme bleiben.
Die relativ einfachen und kostengünstigen Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit wie Luftfilterung, Belüftung von Wohnungen, Büros und Klassenzimmern sowie das Tragen von Masken könnten helfen, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 auch in diesem Winter wirksam zu reduzieren, findet Mongin.
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