Medizin

COVID-19: Wie die Epidemie in Wuhan (vorerst) überwunden wurde

  • Donnerstag, 12. März 2020
/sewcream, stock.adobe.com
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London und Southampton – Die Epidemie in der chinesischen Millionenstadt Wuhan hat bereits Ende Januar ihren Höhepunkt erreicht. Zu verdanken ist dies nach 2 Studien in Lancet Infectious Diseases (2020; doi: 10.1016/S1473-3099(20)30144-4) und MedRxiv (2020; doi: 10.1101/2020.03.03.20029843) den „nicht-medikamentösen“ Interventionen der chinesischen Regierung, der es durch Kontaktisolierung und Reisebeschränkungen nach anfänglichen Problemen gelungen ist, die Reproduktionszahl auf einen Wert von 1 zu senken, ab dem eine Epidemie ausklingt.

Die beiden Forscherteams haben unterschiedliche Methoden benutzt, um sich einen unabhängigen Überblick zum Ausmaß der Epidemie in der Millionenstadt zu verschaffen.

Der Mathematiker Adam Kucharski von der London School of Hygiene & Tropical Medi­cine hat neben den bestätigten Erkrankungen aus Wuhan (ohne Kontakt zum Fischmarkt) auch die Zahl der in andere Länder exportierten Fälle und den Anteil an Infizierten in den Evakuierungsflügen berücksichtigt.

Der Geograf Shengjie Laivon von der Universität Southampton nutzte die Bewegungs­daten der Handynutzer, die von Baidu, dem Anbieter der in China meist benutzten Suchmaschine, gespeichert werden. Sie zeigen, dass die Handynutzer nach dem „Lockdown“ Wuhan und andere Städte nicht mehr verlassen haben.

Beide Teams kommen zu dem Ergebnis, dass die chinesische Regierung das Ausmaß der Epidemie anfangs unterschätzt hat. Schon in früheren Studien war aufgefallen, dass die Zahl der exportierten Erkrankungen angesichts der hohen Bevölkerung in Wuhan auf eine weitaus größere Zahl von Infizierten hindeutet.

Kucharski kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass es Ende Januar wohl 10 Mal mehr Erkrank­ungen gab als offiziell bestätigte Fälle. Andere Teams kamen zu dem Ergebnis, dass es 40 Mal mehr gewesen sein könnten. Sicher scheint, dass die meisten Erkrankungen vermut­lich nicht erkannt wurden.

Über Wochen gelang es der Regierung nicht, die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen. Die tägliche Reproduktionszahl, die angibt wie viele weitere Personen ein Erkrankter im Durchschnitt ansteckt, lag noch Ende Januar, als Ausländer aus Wuhan ausgeflogen wurden, bei 2,35. Sie ging dann im Februar auf 1,05 zurück.

Der Rückgang trat interessanterweise schon 1 Woche vor dem „Lockdown“ ein. Am 23. Januar hatte die chinesische Regierung den Bewohnern von Wuhan das Verlassen der Stadt verboten. Die Maßnahme war 2 Tage vor Beginn des Frühlingsfestes ergriffen worden, zu dem sich ein Großteil der Bevölkerung zu Verwandtenbesuchen auf den Weg macht.

Warum die Zahlen bereits vor den weitreichenden Restriktionen zurückgingen, kann die Studie nicht klären. Zu bedenken ist, dass es sich um mathematische Modellrechnungen handelt, die auf unsicheren Annahmen beruhen, weil niemand die genaue Zahl der Infizierten kennt.

Es ist möglich, dass andere Maßnahmen wie Kontaktverfolgung und Quarantäne Wirkung zeigten. Kucharski hält es für denkbar, dass die Gefahr von der Bevölkerung schon vor den Reiserestriktionen erkannt wurde und sich viele Personen vorsichtiger verhalten haben.

Kucharski hat auch Analysen zur Wahrscheinlichkeit einer Epidemie angestellt. Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, dass ein einziger Fall ausreicht, um einen Ausbruch auszu­lösen, scheinen die Fallzahlen anzusteigen, wenn mehrere Infizierte in eine Region einreisen. Erst ab 4 Fällen betrage die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs 50 %.

Kucharski vermutet, dass die Ansteckungsgefahr von Person zu Person unterschiedlich ist, auch wenn „Super-Spreader“ wie bei der SARS-Epidemie von 2002/3 bisher nicht beobachtet wurden.

Auch die Forschergruppe der Universität Southampton kommt zu dem Ergebnis, dass die Regierung das Problem erst spät erkannt hat. Wären die Interventionen 1 Woche, 2 Wochen oder 3 Wochen früher durchgeführt worden, wären in Wuhan 66 %, 86 % beziehungsweise 95 % weniger Menschen erkrankt.

Wären die Maßnahmen 1 Woche, 2 Wochen oder 3 Wochen später begonnen worden, hätte es vermutlich einen 3-fachen, 7-fachen beziehungsweise 18-fachen Anstieg der Erkrankungen gegeben.

Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen, dass es möglich ist, eine Corona-Epidemie zu stoppen. Der Erkenntnisgewinn für die politischen Entscheidungsträger ist allerdings gering, da sich der Einfluss der einzelnen Maßnahmen nicht von einander abgrenzen lässt. Unklar bleibt auch, ob die Zahlen nach der Aufhebung der Reisebeschränkungen noch einmal ansteigen könnten, wofür es derzeit aber keine Anzeichen zu geben scheint.

rme

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