„Insbesondere gut ausgebildete und erfolgreiche Frauen konsumieren mehr Alkohol“
Mannheim – Beim riskanten Konsum von Alkohol sind laut Institut für Therapieforschung (IFT) inzwischen keine Geschlechtsunterschiede zwischen Männern und Frauen mehr festzustellen. Im Jahr 2000 nahmen danach noch 28,1 % der Männer und „nur“ 20,4 % der Frauen riskante Mengen Alkohol zu sich.
Seither nähern sich Männer und Frauen sukzessive an. In den letzten beiden Erhebungen des IFT lag der Anteil der Frauen sogar etwas höher als der Anteil der Männer, die riskante Mengen Alkohol tranken. Gleichzeitig ist der Alkoholkonsum für Frauen risikoreicher: sie werden in kürzerer Zeit abhängig.

5 Fragen an den Suchtmediziner Falk Kiefer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (Zi) in Mannheim
Herr Kiefer, Sie haben vor kurzem das Buch „Frauen und Alkohol – Wie sie trinken, warum sie trinken und was sie gewinnen, wenn sie damit aufhören“ zusammen mit der selbst betroffenen Journalistin Nathalie Stüben geschrieben. Das Buch ist nach kurzer Zeit schon ein Spiegel Bestseller geworden, Sie haben offensichtlich den Zeitgeist getroffen. Warum trinken Frauen zunehmend riskante Mengen Alkohol?
Es gibt generationelle und individuelle Entwicklungen. In früheren Generationen gab es eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz dafür, dass männliche Jugendliche Alkohol trinken; es wurde als Einstieg ins Erwachsenenleben interpretiert. Aber bei Mädchen sah das anders aus. Das soziale Umfeld war deutlich kritischer, wenn Mädchen über die Stränge schlugen. Das Ergebnis war, dass damals junge Frauen tatsächlich weniger tranken und sich entsprechend seltener eine Abhängigkeit daraus entwickelt hat.
In den jüngeren Generationen gibt es kaum noch einen Unterschied in der gesellschaftlichen Beurteilung des Trinkverhaltens von jungen Frauen und Männern, mit der Folge, dass diese inzwischen „auf Augenhöhe“, also ähnlich gesundheitsschädlich trinken. Auf der individuellen Ebene lässt sich zeigen, dass insbesondere gut ausgebildete und erfolgreiche Frauen mehr Alkohol konsumieren. Sie halten sich weniger an traditionelle Rollenerwartungen und gehen „all in“ – mit allen Chancen und Risiken.
Trinken Frauen anders als Männer?
Ja. Auch wenn die Hauptursachen des Konsumbeginns die gleichen sind – Verfügbarkeit, Gelegenheit und gesellschaftliche Akzeptanz – lassen sich doch unterschiedliche Schwerpunkte bei den Trinkmotiven differenzieren: das Trinken mit dem Ziel der Stressreduktion ist bei Frauen stärker ausgeprägt, während Männer häufiger zum „Socializing“ und Feiern trinken. Besonders interessant sind auch die Motive dafür, weniger oder gar nicht zu trinken: bei den Frauen steht mehr die Stärkung des Selbstwerts und die Sinnfindung im Vordergrund, bei den Männern eher die Beziehungsrettung und die Minderung körperlicher Trinkfolgen.
Welche Rolle spielt die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Alkohol und die gesellschaftliche Akzeptanz für den Konsum insbesondere für Frauen?
Die individuelle Verfügbarkeit – und hierzu zählen Preis, Verkaufslimitierungen und die gesellschaftliche Akzeptanz – spielen eine zentrale Rolle dabei, ob junge Menschen in den Konsum einsteigen und in welchem Umfang sie konsumieren. In Bezug auf Frauen hat sich aber nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz verändert, sondern Frauen wurden als Wachstumsmarkt für die Alkoholproduzenten entdeckt. Die Werbeausgaben der Alkoholhersteller lagen im Jahr 2022 in Deutschland bei rund 600 Millionen Euro.
Zum Vergleich: im selben Jahr gaben das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BIÖG) circa drei Millionen Euro für Informations- und Präventionsarbeit zu dem Thema aus. Die Industrie investiert also rund 200-mal mehr Geld in ein Marketing, dass zum Ziel hat, Konsum zu motivieren und positiv zu framen: insbesondere auf dem noch nicht voll erschlossenen Markt der Frauen. Schlanke Flaschen, feminine Farbgestaltung, elegante Longdrinks vermitteln die Botschaft: die kultivierte Frau trinkt Alkohol.
Welche besonderen Risiken birgt der Konsum von Alkohol für Frauen?
Da der weibliche Körper in der Regel ein geringeres Verteilungsvolumen bereitstellt, ist die Blutalkoholkonzentration nach dem Trinken eines Glases Wein höher, als bei Männern. Dazu trägt auch der etwas langsamere Alkoholmetabolismus bei. Dies führt dazu, dass bei gleicher Trinkmenge ein ungefähr doppeltes so hohes Risiko für Folgeschäden besteht. Generell kennen wir mehr als 200 Erkrankungen, deren Entstehung durch Alkohol verursacht oder gefördert wird, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brust- und Darmkrebs, Depressionen, Störungen der Stress- und Sexualhormone und des Immunsystems. Entsprechend ist Alkoholkonsum auch bei perimenopausalen Beschwerden einer der wichtigen vermeidbaren Lebensstilfaktoren.
Wie können insbesondere Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und -therapeuten dazu beitragen, Frauen dabei zu unterstützen, nicht mehr zu trinken?
Das Thema aktiv ansprechen. Der erste Schritt zu einer Veränderung ist immer die kritische Reflexion des eigenen Verhaltens. Tue ich das, was ich tue, nur, weil ich es immer getan habe, weil es mir guttut, oder könnte mein Trinkverhalten etwas damit zu tun haben, dass ich hier in der Praxis sitze? Wenn Frauen trinken, tun sie ja erst einmal nichts Ungewöhnliches: nur rund 15 Prozent der erwachsenen Frauen waren in den letzten zwölf Monaten abstinent.
Egal, ob der therapeutische Kontakt wegen Schlafstörungen, einer Osteoporose oder affektiven Störung zustande kommt: Alkoholkonsum ist ein Faktor, der ursächlich sein kann oder den Behandlungsverlauf beeinträchtigt. Gut ist: Frauen sind grundsätzlich eher für Vorsorge- und Gesundheitsverhalten gewinnbar, es lohnt sich also besonders, schon in frühen Stadien eines problematischen Konsums eine Veränderungsbereitschaft zu motivieren. Und es sollte weniger um das „Weg-von“, sondern stärker um das „Hin-zu“ gehen. Hin zu mehr Autonomie und Selbstwert: das sind sehr starke Motive. Und Chancen: Ein klarer Kopf sucht Herausforderungen.
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