Langfristige Krankschreibungen nach COVID-19 sind selten, aber es gibt Risikofaktoren

Frankfurt am Main – Langfristige Krankschreibungen sind nach COVID-19-Infektionen, die in deutschen Hausarztpraxen diagnostiziert wurden, mit einer Prävalenz von 5,8 Prozent relativ selten. Ein erhöhtes Risiko besteht bei Frauen, älteren Patienten und bestimmten chronischen Erkrankungen, wie eine im International Journal of Infectious Diseases veröffentlichte Studie mit rund 31.000 Teilnehmern zeigt (DOI: 10.1016/j.ijid.2021.06.063).
Bestehen nach dem Abklingen einer COVID-19-Erkrankung über mehrere Wochen weiterhin oder neu aufgetreten Symptome wie Fatigue, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder Parästhesien spricht man von einem Post- oder Long-COVID-Syndrom. „Sie können die Arbeitsfähigkeit von Patienten im erwerbsfähigen Alter negativ beeinflussen“, so Erstautor Louis Jacob von der Forschungsabteilung des Parc Sanitari Sant Joan de Déu in Barcelona und seine Koautoren.
Ihre Studie basiert auf retrospektiven, anonymisierten demografische, Diagnose- und Verordnungsdaten, die in Allgemein- und Facharztpraxen in Deutschland erhoben werden. Einbezogen wurden 30.950 gesetzlich Krankenversicherte im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, bei denen zwischen März 2020 und Februar 2021 in einer von 1.255 Hausarztpraxen in Deutschland die Diagnose COVID-19 gestellt wurde.
Da es keinen klaren Konsens über die Definition von Langzeitkrankenstand gibt, wurde für den Zweck der Studie eine Dauer von mindestens vier Wochen festgelegt. Die Studienpopulation war nach Geschlecht nahezu hälftig verteilt (51,7 % weiblich, 48,3 % männlich), das mittlere Alter lag bei knapp 42 Jahren.
Weibliches Geschlecht, höheres Alter und Vorerkrankungen sind Risikofaktoren
Ein zentrales Ergebnis der Querschnittsstudie besteht darin, dass 5,8 Prozent der rund 31.000 COVID-19-Patienten zwischen März 2020 und Februar 2021 langfristig krankgeschrieben waren. Mit einem signifikant höheren Risiko für eine langfristige Krankschreibung assoziiert waren dabei weibliches Geschlecht, höheres Alter und sieben verschiedene Vorerkrankungen.
Frauen waren häufiger langfristig krankgeschrieben als Männer (6,5 % vs. 5,1 %). Ein unerwartetes Ergebnis, wie die Autoren betonen, denn bislang deute alles darauf hin, dass Männer ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Verläufe und -Komplikationen haben. Aber Studien zeigen: Persistierende Fatigue ist nach COVID-19 häufiger als bei Männern. „Das könnte erklären, warum die Prävalenz von Langzeitkrankenständen bei Frauen höher war als bei Männern“, ergänzen sie.
Ein höheres Risiko für langfristige Krankschreibungen hatten auch die älteren Studienteilnehmer. Mit einer Prävalenz von 10,7 Prozent war es bei den 56-65-Jährigen mehr als doppelt so hoch als etwa bei den 36- bis 45-Jährigen (5,1 %) oder den 26- bis 35-Jährigen (2,9 %).
Bedeutsam ist der positive Zusammenhang zwischen höherem Alter und Langzeitkrankenstand nach Auffassung der Autoren, weil bei älteren Erwachsenen ein höheres Risiko für verschiedene Komplikationen besteht und die Rückkehr an den Arbeitsplatz bei dieser Patientengruppe daher schwieriger sein könnte als bei Jüngeren.
Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Langzeitkrankenstände hatten außerdem Studienteilnehmer mit nicht-infektiöser Enteritis und Colitis, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, atopischer Dermatitis, Mononeuropathien, Refluxerkrankungen, Diabetes mellitus und Bluthochdruck.
Besonderes Risiko für COVID-19-Komplikationen
Die Vermutung der Autoren zu dieser Erkenntnis: Da nicht infektöse Enteritis und Colitis, atopische Dermatitis, Mononeuropathien und Refluxerkrankungen mit immunologischen Dysregulationen einhergehen und einige dieser Erkrankungen Immuntherapien erfordern, könnten Patienten mit diesen Erkrankungen eine gestörte immunologische Reaktion zeigen, wenn sie einem Erreger ausgesetzt sind. Daraus könnte ein besonderes Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen und -Komplikationen resultieren.
Es gibt außerdem Hinweise in der Forschung, dass sowohl Diabetes mellitus als auch Bluthochdruck mit schweren COVID-19-Verläufen und damit verbundenen Komplikationen assoziiert sind. Das deutet darauf hin, dass diese Erkrankungen nach der Diagnose von COVID-19 langanhaltende Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben könnten.
Was die signifikante Assoziation zwischen Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen und langfristigen Krankschreibungen angeht, so könnten Personen mit dieser psychischen Erkrankung größere Schwierigkeiten haben, sich an die Diagnose COVID-19 anzupassen als die Allgemeinbevölkerung. Das könnte zu einer verzögerten Rückkehr an den Arbeitsplatz nach der akuten Phase der Erkrankung führen.
Im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit betonen die Autoren, dass Barrieren, die für die Rückkehr an den Arbeitsplatz bei langzeiterkrankten Personen bestehen, identifiziert und abgebaut werden müssen. Helfen könnten dabei zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit im Home Office zu arbeiten.
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