Medizin

Nervenschäden bei Typ-2-Diabetes entstehen oft schon vor der Diagnose

  • Mittwoch, 27. August 2025
/Siam, stock.adobe.com
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Düsseldorf/München – Entscheidend für das Auftreten von Neuropathien bei Menschen mit Diabetes ist offenbar nicht der gut eingestellte Blutglukosespiegel nach der Diagnose, sondern der Zustand der Nerven bei der Diagnosestellung. Das konnten Forschende des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) in einer prospektiven Beobachtungsstudie zeigen (Neurology 2025; DOI: 10.1212/WNL.0000000000213780).

Über 10 Jahre hinweg wurden mehr als 140 Menschen mit neu diagnostiziertem (≤ 1 Jahr), sehr gut kontrolliertem Typ-2-Diabetes untersucht. Ihre Nervenfunktionen wurden regelmäßig überprüft und mit einer stoffwechselgesunden Kontrollgruppe (NGT) verglichen.

Zu Beginn zeigten alle Messungen der Nervenfunktion eine Beeinträchtigung bei den 52 Personen in der Diabetesgruppe im Vergleich zu den 52 Personen in der gematchten NGT-Gruppe.

Nach 5 Jahren verschlechterten sich 2 Nervenindizes in der Diabetesgruppe (motorischer Nerv peroneus, MNCV und die Vibrationswahrnehmungsschwelle des Malleolars, VPT) und 3 in der NGT-Gruppe (peroneale MNCV, VPT und die Wärmedetektionsschwellen für Kälte, TDT). Die beobachteten 5-Jahres-Verschlechterungen waren nach Adjustierung aber in beiden Gruppen ähnlich ausgeprägt.

Vergleichbare Verschlechterungen nach 5 und 10 Jahren wurden in der größeren Diabeteskohorte mit 141 Personen festgestellt. Die beobachtete 10-Jahres-Prävalenz abnormaler Nervenleitgeschwindigkeiten entsprach weitgehend dem zu erwartenden natürlichen altersbedingten Rückgang – sofern der Blutglukosespiegel gut eingestellt ist.

Das Fazit: „Unsere Daten zeigen, dass bei Menschen mit gut eingestelltem Typ-2-Diabetes das Risiko für eine Verschlechterung der Nervenfunktion vor allem vom Zustand der Nerven zum Zeitpunkt der Diagnose abhängt“, so Michael Roden, Autor der Studie und wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des DDZ sowie Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Die Nervenleitgeschwindigkeit im ersten Jahr nach der Diabetesdiagnose ist insgesamt ein wichtiger Hinweis dafür, nach wie vielen Jahren mit einer verminderten Nervenfunktion zu rechnen ist. Die Ergebnisse unterstreichen laut den Autorinnen und Autoren, wie wichtig es ist, rechtzeitig Diabetesvorstufen zu erkennen und gezielte Prävention für Risikogruppen umzusetzen.

Nervenschäden bei Typ-1-Diabetes besser verhinderbar

Frühere Studien legen nahe, dass selbst eine gute Blutglukoseeinstellung Nervenschäden bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nur begrenzt verhindern kann. Bei Typ-1-Diabetes scheint dies hingegen besser zu gelingen.

Ein möglicher Grund: „Typ-1-Diabetes wird oft frühzeitig erkannt und schnell behandelt, da die Erkrankung meist plötzlich und mit klaren Symptomen innerhalb weniger Tage bis Wochen auftritt“, erläutert Alexander Strom vom DDZ, der gemeinsam mit dem DDZ-Kollegen Gidon Bönhof eine neue Studie geleitet hat, die diese Hypothese bekräftigt.

Typ-2-Diabetes hingegen bleibe oft über Jahre unentdeckt. „Schon während dieser teils symptomlosen Phase kann es unbemerkt zu Schädigungen der Nerven kommen, die dann zum Zeitpunkt der Diagnose bereits bestehen“, erklärt Strom und weiter: „Bei vielen Betroffenen scheint der entscheidende Schaden also bereits vor der eigentlichen Diagnose eines Typ-2-Diabetes entstanden zu sein.“ Das könnte auch erklären, warum viele neue Therapieansätze bei bereits vorliegender Neuropathie keine Wirkung gezeigt haben.

Tool zur Vorhersage von Nervenleitgeschwindigkeit entwickelt

Das im Rahmen der Studie entwickelte Prognosetool könnte ein hilfreiches Werkzeug sein, um den Abbau der Nervenfunktion bei Menschen mit Diabetes vorherzusagen. Mit diesem können Ärztinnen und Ärzte abschätzen, wann bei einer Person die Nervenfunktion unter einen kritischen Schwellenwert fällt. Berücksichtigt werden Alter und Ausgangsbefund – Voraussetzung ist, dass der Diabetes gut eingestellt bleibt.

Das Vorhersagetool sagte eine normale oder gestörte motorische Nervenleitgeschwindigkeit in 75 % der Fälle korrekt voraus und in 85 % für sensorische Nervenleitgeschwindigkeiten. Das Modell könnte künftig helfen, Hochrisikopatientinnen und -patienten frühzeitig zu erkennen und gezielt präventiv zu behandeln.

Die diabetische Polyneuropathie ist eine der häufigsten und belastendsten Folgeerkrankungen bei Menschen mit Diabetes. Sie betrifft die peripheren Nerven, vor allem an den Füßen und Beinen, und kann zu Gefühlsverlust, Taubheitsgefühlen, Kribbeln, Schmerzen oder Muskelschwäche führen.

Durch ein eingeschränktes Berührungsempfinden drohen langwierige Fußwunden und sogar Amputationen. Ausgelöst wird die Neuropathie durch chronisch erhöhte Blutglukosewerte bei Diabetes sowie durch Übergewicht und weitere Risikofaktoren wie Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte.

Trotz intensiver Forschung gibt es bislang keine ursächliche oder wirksame Therapie, die das Fortschreiten der diabetischen Neuropathie dauerhaft aufhält oder die Schäden rückgängig machen kann. Die Behandlung beschränkt sich meist auf die Linderung von Symptomen.

gie

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