Medizin

SARS-CoV-2: Experten fordern Maßnahmen gegen aerogene Übertragung

  • Dienstag, 7. Juli 2020
/Ingo Bartussek, stock.adobe.com
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Brisbane/Australien – Das SARS-CoV-2 hält sich nicht immer an die geltenden Abstands­regeln. In Einzelfällen könne das Virus weitere Strecken zurücklegen und über längere Zeit in der Luft bleiben als bisher angenommen, schreibt ein Team von 239 Forschern aus 32 Ländern, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem Beitrag in Clinical Infectious Diseases (2020; DOI: 10.1093/cid/ciaa939/5867798) auffordert, die derzeitige Einschätzung zur Übertragbarkeit des Pandemievirus zu überdenken.

Nach Ansicht der Forscher, die aus verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Technik kommen, darunter Virologie, Aerosol-Physik, Strömungsdynamik, Epidemiologie, Medizin und Gebäudetechnik, erreichen die Viren, die infizierte Personen beim Atmen und Sprechen an die Luft freisetzen, größere Distanzen als die 1 bis 2 Meter, die derzeit von den Gesundheitsbehörden als Sicherheitsabstand empfohlen werden.

Bereits bei normalen Luftbewegungen in Innenräumen könne ein Tröpfchen von 5 Mikrometern Größe Distanzen von 10 Meter oder mehr („tens of meters“) in der Luft zurücklegen, bevor es aus einer Höhe von 1,5 Metern zu Boden sinkt, ist die Hauptautorin Lidia Morawska vom International Air Quality and Health Laboratory an der Queensland University of Technology in Brisbane/Australien überzeugt.

Zum Beleg führen die Forscher eine Reihe von retrospektiven Analysen an, in denen es über die derzeitige Sicherheitsdistanz hinaus zu Infektionen gekommen ist. Dazu gehört ein Infektionsereignis, über das chinesische Epidemiologen bereits im April berichtet hatten.

In einem Restaurant in der Stadt Guangzhou hatten zum chinesischen Frühjahrsfest 3 Familien an benachbarten Tischen gegessen. Alle befanden sich im Luftstrom eines Klimagerätes. Der Index-Patient, der am mittleren Tisch saß, infizierte nicht nur die Personen am gleichen Tisch, sondern auch mehrere Personen an den Nachbartischen.

Weitere Recherchen, die in medRxiv als Preprint (2020; DOI: 10.1101/2020.04.16.20067728) veröffentlicht wurden, haben laut Morawska keine Hinweise auf direkte oder indirekte Kontakte zwischen den drei Personengruppen ergeben. Damit stehe fest, dass das Virus aerogen übertragen wurde.

Morawska erinnert daran, dass auch für SARS-CoV-1, das 2002/3 eine kurze weltweite Epidemie ausgelöst hat, eine aerogene Übertragung über längere Strecken belegt sei. Damals war es in mehreren Gebäuden eines Wohnkomplexes in Hongkong zu einem Cluster von 187 SARS-Erkrankungen gekommen, den die Forscher mit einer Virus-beladenen Luftfahne („plume“) in Verbindung brachten. Die Viren könnten dabei eine Distanz von 60 Meter überwunden haben (NEJM 2004; DOI: 10.1056/NEJMoa032867).

Angesichts der Evidenz ist es nach Ansicht von Morawska nicht gerechtfertigt, dass die WHO und andere Gesundheitsorganisation die Möglichkeit einer aerogenen Übertragung von SARS-CoV-2 nicht anerkennen.

Dies hätte zur Folge, dass einfache und effektive Gegenmaßnahmen unterbleiben würden. Morawska nennt 3 Maßnahmen, die – zusätzlich zu den geltenden Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen – ergriffen werden sollten.

Erstens sollte in Räumen für eine ausreichende und effektive Belüftung gesorgt werden mit einer ausreichenden Zufuhr von saubere Außenluft und der Minimierung von zirkulierender Umluft. Dafür sollte insbesondere in öffentlichen Gebäuden, Arbeitsumgebungen, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen gesorgt werden.

Zweitens sollte die Luft in den Räumen durch Luftfiltern oder auch UV-Bestrahlung von Viren befreit werden. Drittens sollten dichte Menschenansammlungen („overcrowding“) insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln und öffentlichen Gebäuden vermieden werden.

rme

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