Medizin

SARS-CoV-2: Experten kritisieren 3. Dosis trotz leicht nachlassender Schutzwirkung

  • Dienstag, 14. September 2021
/wachiwit, stock.adobe.com
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Genf und Atlanta – Ein internationales Forscherteam, darunter Mitarbeiter der US-Arzneimittelagentur FDA und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sprechen sich in einem Beitrag im Lancet (2021; DOI: 10.1016/ S0140-6736(21)02046-8) zum derzeitigen Zeitpunkt gegen eine 3. Dosis einer COVID-19-Impfung aus, die in vielen Ländern diskutiert und teilweise bereits praktiziert wird. Ihr Hauptargument ist die geringe Zahl von tödlichen Durchbruchinfektionen auch unter der Delta-Variante.

Mitarbeiter der US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC) kommen in 3 Studien im Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) zu dem Ergebnis, dass die Impfstoffwirksamkeit seit der Dominanz der Delta-Variante leicht zurückgegangen ist. Die meisten Todesfälle treten jedoch nach wie vor in der un­geimpften Bevölkerung auf.

Die Angst vieler geimpfter Menschen, in Zeiten steigender Inzidenzen eine Durchbruchinfektion zu erlei­den, und die Sorge der Politiker vor einer Überlastung des Gesundheitswesens haben in den letzten Wochen die Idee einer Auffrischung aufkommen lassen. Einige Länder wie Frankreich haben sie frühzei­tig für Menschen mit Immunschwäche eingeführt, andere wie Israel machen bereits allen Erwachsenen ein Impfangebot. Die US-Regierung plant dies ebenfalls.

Eine Vorentscheidung könnte am kommenden Freitag auf einer Tagung der CDC fallen. In ärmeren Län­dern wird befürchtet, dass die Auffrischung in den reicheren Ländern den globalen Impfstoffmangel ver­schärft und viele Menschen noch länger auf eine 1. Dosis warten müssen.

Jetzt hat ein Team um WHO-Mitarbeiterin Ana-Maria Henao-Restrepo, Genf, und den FDA-Mitarbeitern Philip Krause und Marion Gruber (die laut Presseangaben inzwischen aus Protest gegen die Pläne der Biden-Administration gekündigt haben) Partei für die ärmeren Länder ergriffen. Die Experten argumen­tie­­ren, dass die ersten beiden Dosen der Impfung trotz der Dominanz der Delta-Variante derzeit noch eine ausreichende Schutzwirkung vor einer schweren Erkrankung bieten.

Die 18 Autoren stützen sich dabei in ihrem „Viewpoint-Artikel“ im Wesentlichen auf die Erfahrungen aus den klinischen Studien. Dort war die Schutzwirkung vor einer schweren Erkrankung durchweg höher aus­gefallen als die Schutzwirkung vor einer Infektion. Dies gilt nach Einschätzung der Experten auch für die Delta-Variante. Sie befürchten, dass eine zu frühzeitige Boosterung das Vertrauen der Bevölkerung in die Impfung gefährden könnte, dann nämlich, wenn den Berichten über Impfkomplikationen wie Myokarditis oder Guillain-Barré-Syndrom keine glaubhaften Daten über den Zusatznutzen des Boosters gegenüber­gestellt werden könnten.

Die jüngsten Zahlen der CDC zeigen, dass die Schutzwirkung der Impfung vor dem Hintergrund der Delta-Variante leicht nachgelassen hat, insgesamt aber noch sehr hoch ist. Heather Scobie und Mitarbei­ter haben die COVID-19-Fälle seit April ausgewertet und dabei die Zeiträume vor und nach Auftreten der Delta-Variante verglichen.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Risiko von ungeimpften Personen, im Fall einer Infektion an COVID-19 zu sterben, zuletzt 11,3-fach höher war als bei vollständig geimpften Personen. Vor dem Auf­treten von Delta war die Sterblichkeit jedoch noch 16,6-fach höher. Das Infektions­risiko war vor Eintref­fen von Delta für ungeimpfte Personen 11,1-fach höher als für geimpfte Personen. Seit Delta ist der Quo­tient auf 4,6 gefallen. Bei den Hospitalisierungsrisiko kam es zu einem Rückgang von 13,3 auf 10,4. Danach sind Geimpfte auch in den Zeiten der Delta-Variante deutlich besser geschützt als Ungeimpfte. Der „Vorsprung“ ist jedoch etwas geschrumpft (MMWR, 2021; DOI: 10.15585/mmwr.mm7037e1)

Shaun Grannis und Mitarbeiter hatten die Daten des VISION-Netwerks ausgewertet, das die Erfahrungen von 187 Kliniken und 221 Notfallabteilungen sammelt. Unter den Erwachsenen, die mit einer COVID-19-ähnlichen Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, lag bei 18,9 % der Ungeimpften eine Infektionen mit SARS-CoV-2 vor. Unten den Geimpften waren nur 3,1 % infiziert. Grannis ermittelt eine Impfstoffwirksamkeit von 86 %, die im Alter von 75 Jahren mit 76 % signifikant niedriger als bei jüngeren Patienten mit 89 % ausfiel. Über alle Altersgruppen hinweg erzielte der Moderna-Impfstoff mit 95 % die höchste Schutzwirkung vor Biontech-Pfizer mit 80 % und Janssen mit 60 % (MMWR, 2021; DOI: 10.15585/mmwr.mm7037e2).

Kristina Bajema und Mitarbeiter haben die Effektivität der beiden mRNA-Impfstoffe bei US-Veteranen untersucht, die sich überwiegend im Seniorenalter befinden und meist einen schlechteren Gesundheits­zustand haben als der Rest der Bevölkerung. Auch in dieser Risikokonstellation ist die Schutzwirkung seit dem Auftreten der Delta-Variante nur leicht zurückgegangen. Die Schutzwirkung vor einer COVID-19-assoziierten Krankenhauseinweisung ist von 89,3 % auf 84,1 % gesunken. Sie war insgesamt (vor und seit Delta) bei den Senioren (ab 65 Jahren) mit 79,8 % niedriger als bei den jüngeren Veteranen (unter 65 Jahre) 95,1 % (MMWR, 2021; DOI: 10.15585/mmwr.mm7037e3).

rme

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