Medizin

Studie: Hydroxychloroquin könnte auch in der Rheumatherapie langfristig kardiale Risiken erhöhen

  • Dienstag, 25. August 2020
/alexandra, stock.adobe.com
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Oxford – Das ehemalige Malariamittel Hydroxychloroquin, dessen Einsatz bei Patienten mit COVID-19 derzeit wegen der Gefahr von Herzrhythmusstörungen umstritten ist, kann nach einer „Big-Data“-Analyse in Lancet Rheumatology (2020; DOI: 10.1016/S2665-9913(20)30276-9) auch bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen langfristig die kardialen Risiken erhöhen, vor allem zu Phasen, in denen die Patienten zusätzlich mit dem Antibiotikum Azithromycin behandelt werden.

Die öffentliche Debatte um den Einsatz von Hydroxychloroquin bei COVID-19 hat Rheumatologen aus 2 Gründen verunsichert. Zum einen kam es zu Lieferengpässen mit dem Wirkstoff, der zu den Basistherapeutika bei der rheumatischen Arthritis und vor allem beim systemischen Lupus Erythematodes (SLE) gehört.

Zum anderen mussten sich die Ärzte aufgrund der Fallberichte über QT-Verlängerungen und ventrikuläre Arrhythmien unter der Behandlung mit Hydroxychloroquin bei COVID-19 die Frage stellen, ob der Einsatz des Wirkstoffs bei ihren Patienten sicher ist.

Tatsächlich beruht die Evidenz zur Sicherheit von Hydroxychloroquin bei rheumatischen Erkrankungen im wesentlichen auf retrospektiven Fallserien und auf Meldungen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) an die Arzneimittelbehörden.

Eine internationale Forschergruppe, die sich zur „Observational Health Data Sciences and Informatics“ (OHDSI) zusammengeschlossen hat, versucht diese Frage jetzt durch die Analyse von elektronischen Krankenakten zu klären

Die Forscher konnten auf 14 Datensätze aus Deutschland, Großbritannien, Japan, den Niederlanden, Spanien und den USA zugreifen. Sie verglichen 956.374 Anwender von Hydroxychloroquin (von denen 323.122 zwischenzeitlich auch mit Azithromycin behandelt wurden) mit 310.350 Patienten, die mit Sulfasalazin behandelt wurden, das ebenfalls in der Basistherapie rheumatischer Erkrankungen eingesetzt wird.

Für Patienten, die weniger als 30 Tage mit Hydroxychloroquin behandelt wurden, konnte das Team um Daniel Prieto-Alhambra von der Universität Oxford kein erhöhtes Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen ermitteln. Sogenannte selbstkontrollierte Fallserien, die verschiedene Zeitphasen derselben Patienten vergleichen und damit viele Fehlerquellen retrospektiver Studien vermeiden, bestätigten die Ergebnisse.

Für die längere Behandlung mit Hydroxychloroquin fanden die Forscher jedoch Sicher­heits­signale. Langzeitanwender von Hydroxychloroquin hatten ein zu 65 % erhöhtes Sterberisiko (kalibrierte Hazard Ratio 1,65; 1,12 bis 2,44).

In Phasen, in denen die Patienten mit Azithromycin behandelt wurden, kam es innerhalb von 30 Tagen zu einem Anstieg der kardiovaskulären Mortalität: Die kalibrierte Hazard Ratio betrug hier 2,19 (1,22 bis 3,95) gegenüber Patienten, deren Infektion mit Amoxi­cillin behandelt wurde.

In dieser Zeit wurden in den Krankenakten auch häufiger Brustschmerzen oder eine Angina (kalibrierte Hazard Ratio 1,15; 1,05 bis 1,26) oder eine Herzinsuffizienz (kali­brierte Hazard Ratio 1,22; 1,02 bis 1,45) notiert.

Die Forscher hatten ihre Ergebnisse im März bei einem „Study-a-thon“ (Studien-Marathon) ermittelt und auf dem Server MedRxiv veröffentlicht. Am 23. April hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Studie in einer Sicherheitswarnung zum Einsatz von Chloroquin und Hydroxychloroquin zitiert

Im Juli hat die EMA die Studie in einem „Guide on Methodological Standards in Pharmacoepidemiology“ erwähnt, heißt es in der Pressemitteilung der Universität Oxford, die sichtlich um Seriosität bemüht ist.

„Big-Data“-Analysen sind zuletzt in die Kritik geraten, weil die Methodik relativ neu und nicht immer nachvollziehbar ist. Im Juni musste die Firma „Surgisphere“ zwei im Lancet und im New England Journal of Medicine publizierte Studien zurückziehen, weil die Autoren nicht glaubwürdig erklären konnten, wie sie innerhalb von kurzer Zeit an die Daten von 96.032 COVID-19-Patienten gelangt waren.

Die Zahl der Patienten aus Australien soll höher gewesen sein, als die Zahl der dort gemeldeten Infektionen. Als unglaubwürdig eingestuft wurde die Berücksichtigung von Erkrankungen aus Afrika, wo angeblich erst wenige Kliniken detaillierte elektronische Gesundheitsakten führen.

Es ist zu erwarten, dass auch die OHDSI-Analyse auf Kritik stoßen wird. Der Rheuma­tologe Tom Huizinga von Medizinischen Zentrum der Universität Leiden weist im Editorial darauf hin, dass Rheumatologen Hydroxychloroquin und Sulfasalazin nicht unbedingt bei den gleichen Patienten einsetzen.

Wenn Hydroxychloroquin für die schwierigeren Fälle reserviert würde, darunter vielleicht Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dann könne dies schnell zu einer Schieflage der Analyse führen.

Die OHDSI-Gruppe hat versucht, diesen Bias durch eine Propensity-Analyse zu vermeiden, die nur Patienten mit gleichen Eigenschaften gegenüberstellt. Es ist aber unwahrschein­lich, dass die Krankenakten alle wesentlichen Patienteneigenschaften erfassen, wendet Huizinga ein.

Berücksichtigt werden sollte laut Huizinga auch, dass die absoluten Unterschiede gering sind: Bei den Patienten, die mit Hydroxychloroquin behandelt wurden, kamen auf 1.000 Personenjahre 4,39 kardiovaskuläre Todesfälle gegenüber 2,00 pro 1.000 Personenjahre bei Patienten, die mit Sulfasalazin behandelt wurden.

Dieser Nachteil müsse mit möglichen Vorteilen von Hydroxychloroquin in Beziehung gesetzt werden, die nicht Gegenstand der Studie waren schreibt Huizinga.

rme

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