Studie: Maske schränkt Verbreitung von Aerosolen bei Bahnfahrten ein

Göttingen – Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung kann in einem ICE die Ausbreitung von Tröpfchen und Aerosolen begrenzen. Die Reichweite der bei einem Hustenereignis emittierten Partikel ist gering und die Gefahr einer Ausbreitung über die Klimaanlage in einem Großraumwaggon besteht nach einer von der Deutschen Bahn zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt durchgeführten experimentellen Studie nicht. Die Studie lässt allerdings keine Aussage über das tatsächliche Infektionsrisiko zu.
SARS-CoV-2 wird über Tröpfchen und Aerosole übertragen, wobei letztere über weite Strecken in der Luft schweben und in einem Großraumwaggon im Prinzip auch weiter entfernt sitzende Personen erreichen könnten. Ein weiteres Risiko könnte von der Klimaanlage ausgehen, die die aufgesaugten Partikel im gesamten Innenraum verbreiten könnte. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich in Restaurants auch weiter entfernte Personen mit SARS-CoV-2 infiziert haben.
Die Deutsche Bahn hat in den letzten Monaten die Ausbreitung der Atemluft und der Aerosole in einem typischen ICE-2-Wagen untersuchen lassen. Die Experimente fanden in einer Klimakammer der DB Systemtechnik in Minden statt, wo sich verschiedene Außentemperaturen einstellen lassen, die sich auf die Leistung des Klimagerätes auswirken, das im Sommer die Luft im Waggon kühlt und im Winter erwärmt. Das Klimagerät versorgt den Fahrgastraum zudem mit Frischluft. Nach Angaben der Deutschen Bahn wird in einem ICE die Luft durchschnittlich alle sieben Minuten vollständig erneuert.
Die Ausbreitung der Atemluft wurde mit einem Dummy simuliert, der im mittleren Bereich des Waggons am Gang platziert wurde und kontinuierlich CO2 als Tracer emittierte. Es war Sommer. Die Außentemperatur betrug 28 Grad Celsius bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 45 %. Die Klimaanlage war auf Kühlung eingestellt.
Ohne Maske wurde beim unmittelbaren Sitznachbar ein Wert von 0,96 von maximal 1,0 gemessen. Die Tracer erreichten auch die Sitzreihe unmittelbar vor dem Dummy (0,49 und 0,51 für die beiden Plätze). 2 Reihen vor dem Dummy betrug die Exposition noch 0,30. Hinter dem Dummy war die Exposition bereits in der ersten Reihe auf 0,21 und 0,28 abgefallen. Etwas höher war die Exposition der beiden Personen, die auf Höhe des Dummys auf der anderen Seite des Gangs saßen (0,39 für den Gang- und 0,38 für den Fensterplatz). Auch die Personen in der Reihe davor bekamen noch einiges ab (0,41).
Eine klassische OP-Maske führte zu einem deutlichen Abfall der Exposition auf 0,41 für den unmittelbaren Sitznachbarn. Auch an den anderen Positionen war die Exposition deutlich geringer. Die CO2-Konzentration erreichte in der ersten Reihe hinter dem Dummy und 3 Reihen davor die Höhe der Hintergrundkonzentration. Auch auf der gegenüber liegenden Seite des Waggons ließ die Exposition schnell nach.
Die Messungen ergaben ferner, dass die Klimaanlage eine vernachlässigbare Auswirkung auf die Ausbreitung hatte. Es spielte nach der Publikation keine Rolle, ob der Waggon im Sommer gekühlt oder im Winter beheizt wird.
Für die Übertagung von SARS-CoV-2 ist weniger die Atemluft als die Aerosole von Bedeutung. Die Forscher haben dazu einen Aerosolgenerator mit künstlichem Speichel gefüllt. Der Dummy saß (ohne Mund-Nasen-Bedeckung) an einem Viererplatz mit Tisch am Gang. Die größte Menge bekam die direkt gegenüber sitzende Person mit 0,20 % ab. Die Person daneben wurde mit 0,03 % exponiert. Die Personen in der Reihe hinter dem Dummy erreichten 0,01 % des Speichelaerosols.
Die Rückenlehnen scheinen eine effektive Barriere darzustellen, schreiben die Forscher. Die Aerosole wurden in Richtung Gang beziehungsweise auf die andere Seite des Fahrgastraums umgelenkt. Dabei könnten allerdings komplexe Verteilungswege entstehen, wodurch auch Sitzplätze hinter der Quelle belastet werden könnten.
Nach der Deaktivierung des Partikelgenerators fiel die Exposition rasch ab. Nach 1 bis 2 Minuten betrug sie weniger als 25 % des Ausgangswerts: 5 Minuten, nachdem ein Infizierter den Fahrgastraum verlässt, sollten nach den Ergebnissen der Studie im Abteil keine Aerosole mehr vorhanden sein.
Von den Klimageräten geht nach den Ergebnissen der Studie kein Risiko aus. Die eintretenden Partikel werden von dem derzeit eingesetzten G4-Filter abgehalten, wobei das Abscheidevermögen im Heizbetrieb tendenziell höher war als bei einer Kühlung der Luft. Aus Sicht der Studienautoren besteht kein Grund, die im Gebrauch befindlichen G4-Filter durch neue G4- oder M5-Filter zu ersetzen.
In einem weiteren Test wurde ein Hustenereignis simuliert. Ohne Maske kam es zu einer Exposition der am Tisch gegenüber sitzenden Person. Mit Maske wurden die Aerosole eher in Richtung Decke geschleudert. Die Reichweite der Aerosole war deutlich eingeschränkt.
Das wichtigste Ergebnis der Studie scheint zu sein, dass die Klimaanlage im Großraumwaggon laut den Autoren „faktisch keine Rolle“ bei der Ausbreitung der Aerosole spielt. Die Untersuchung bestätigt zudem den Nutzen der Mund-Nase-Bedeckung. Eine virologische Bewertung der Studie steht noch aus.
Wie hoch das Infektionsrisiko in Wirklichkeit ist, ließe sich nur durch epidemiologische Untersuchungen klären. Diese könnten zum einen ein Ausbruchsgeschehen analysieren und zum anderen das Ansteckungsrisiko von Bahnfahrern im Vergleich beispielsweise von Autofahrern untersuchen.
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