Studien zu Antigenschnelltests kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen

Würzburg – Bisherige Studien zur Sensitivität von SARS-CoV-2-Antigenschnelltests kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) ermittelte für die meisten Tests keine reduzierte Sensitivität für Omikron. Damit widersprechen sie der US-Arzneimittelbehörde FDA sowie zwei Studien aus München und Genf. Seit Mittwoch gibt es eine weitere Studie vom Universitätsklinikum Würzburg, die ebenfalls die Ergebnisse des PEI nicht bestätigen kann.
Die Sensitivität von 3 Antigenschnelltests war bei fast 100 Patienten, die mit der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 infiziert waren, deutlich reduziert verglichen mit dem Wildtyp, speziell bei hoher Viruslast. Zu diesem Ergebnis kamen die Forschenden aus Würzburg in einer Studie mit etwa 25.000 Patienten. Die bislang nur als Preprint veröffentlichten Daten haben noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen (DOI: 10.2139/ssrn.4075840).
Die Forschungsgruppe um Manuel Krone von der Stabstelle Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship am Universitätsklinikum Würzburg untersuchte mit 35.479 Proben die bisher größte Zahl an oropharyngealen Abstrichen. Im Unterschied zu den Studien aus München, Genf und der Untersuchung des PEI, wurde kein experimentelles, sondern ein klinisches Setting gewählt. Das heißt, dass der Abstrich nicht im Reagenzglas stattfand, sondern beim Patienten durchgeführt wurde.
Im Vergleich zur RT-PCR betrug die durchschnittliche Sensitivität der Antigenschnelltests (gemittelt für alle Varianten) 38,5 % (95-%-KI 34,0-43,20), die Spezifität lag bei 99,67 % (95-%-KI 99,60-99,72). Es gab Unterschiede zwischen den 3 Herstellern, die aber statistisch nicht signifikant waren (MEDsan: 36,79 %; Panbio 37,65 %; NADAL 48,08 %).
Dabei hing die Sensitivität der Antigenschnelltests stark von der Viruslast ab. Mit abnehmender Viruslast sank auch die Sensitivität der Antigenschnelltests.
Falsche Testergebnisse bei hochinfektiösen Omikron-Infizierten möglich
Unterschiede gab es zwischen den Varianten von SARS-CoV-2. Den Wildtyp des Virus detektierten die Antigenschnelltests mit einer durchschnittlichen Sensitivität (für niedrige bis hohe Viruslasten) von 42,86 % (95-%-KI 32,82 %-53,52 %). Bei der Variante Alpha waren es 43,42 % (95-%-KI 32,86-54,61), bei der Variante Delta 37,67 % (95-%-KI 30,22 %-45,75) und bei der Variante Omikron 33,67 % (95-%-KI 25,09-43,49).
Die Sensitivität bei Proben mit hoher Viruslast war bei Omikron signifikant niedriger (50,00 %, 95 % KI 36,12 % - 63,88 %) im Vergleich zum Wildtyp-Virus (79,31 %, 95 % KI 61,61 % - 90,15 %, p = 0,015). Die Sensitivitäts-Unterschiede zwischen Delta und Omikron waren nicht signifikant, der P-Wert lag bei 0,25 %, die Konfidenzintervalle überlappen sich deutlich.
Das Fazit der Autoren: Die signifikante Einschränkung bei Omikron-Infizierten mit hoher Viruslast erhöhe das Risiko für die Fehlbeurteilung hochinfektiöser Patienten. Die Autoren um Krone geben an, dass die Ergebnisse ihrer Untersuchung auf die Allgemeinheit übertragbar seien, da die Studienkohorte eine repräsentative Altersstruktur von Kindern bis hin zu hochaltrigen Teilnehmenden aufgewiesen habe.
PEI-Sensitivitäts-Werte unterscheiden sich
Anders als in der Studie aus Würzburg wiesen die 3 Antigenschnelltests laut Evaluierung PEI Sensitivitätsunterschiede für Delta auf und das PEI geht davon aus, das dies auch für Omikron der Fall ist: MEDsan: 58,0 %; Panbio 64,0 %; NADAL 36,0 % (gemittelte Werte für niedrige bis hohe Viruslast, Konfidenzintervalle wurden nicht angegeben).
„Diese Zahlen des PEI spiegeln sich in unseren Untersuchungen nicht wider. Ausgerechnet der NADAL-Test erreichte in unseren klinischen Tests die höchste Sensitivität, wenn auch ohne statistische Signifikanz“, erläuterte Krone auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts.
Die Sensitivität reichte von 36,79 % (78 richtig positiv versus 134 falsch negativ, 95 % KI 30,59 % - 43,47 %) für MEDsan über 37,65 % (61 versus 101, 95 % KI 30,56 % - 45,32 %) für Panbio bis 48,08 % (25 versus 27, 95 % KI 35,10 % - 61,31 %) für NADAL. Eine Einschränkung: Aussagen zu den einzelnen Varianten sind an dieser Stelle nicht möglich, da die Sensitivitätsangaben zu den Varianten über die drei Tests gemittelt wurden.
Ursachen für die Abweichungen zu den PEI-Daten könnten laut Krone im Studiendesign liegen: Die Würzburger hatten deutlich mehr Proben analysiert und den Abstrich beim Patienten durchgeführt, statt im Reagenzglas.
„Da das PEI keine Konfidenzintervalle angibt, können wir die Signifikanz der Ergebnisse nicht einordnen“, sagte Krone dem DÄ. Zudem habe das PEI nur Schnelltests untersucht, die keine Bindestellen im Omikron-Mutationsbereich aufweisen, ergänzte Andreas Osterman, Erstautor der Münchner-Studie vom Max von Pettenkofer-Institut der LMU München.
Die aktuelle Datenlage zu Antigenschnelltests für Omikron überzeugt Krone nicht: „Noch liegt keine große Studie mit Peer Review vor, die belegen kann, dass es keine variantenabhängigen Unterschiede bei der Sensitivität von Antigenschnelltests gibt. Auch die PEI-Evaluation ist mit 4 klinischen und 6 Zellkulturproben mit der Omikron-Variante zu klein, um ausreichend sicher diese Aussage treffen zu können.“ Auch die Herstellerabfrage zu den Binderegionen überzeugt den Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie nicht.
Die Theorie des PEI: Bei Zielregionen innerhalb des Nukleokapsidproteins, die nicht von einer Omikron-Mutation betroffen sind, gibt es „theoretisch keine Grundlage für einen verminderten Omikron-Nachweis“ (Bridging-Ja). Die Studien aus München und Genf hatten zwar weniger Tests untersucht als das PEI, es waren aber auch solche dabei, die das PEI aufgrund der Herstellerangaben mit einem Bridgeing-Ja gekennzeichnet hat. „Die Sensitivität für Omikron war auch bei diesen Tests mit Bridging-Ja reduziert im Vergleich zum Wildtyp oder zu Delta.“
Wie aussagekräftig ist die Bridging-Prüfung des PEI?
Ein möglicher Grund für eine Abnahme der Sensitivität könnte eine niedrigere Nukleoprotein/RNA-Rate bei Omikron-Infizierten sein. Das würde bedeuten, dass zwei Proben bei gleicher Viruslast unterschiedliche Konzentrationen von Nukleoproteinen haben, die als Bindestelle für die Antigenschnelltests dienen.
Diese Theorie äußerte auch der Erstautor der Münchner Studie, Osterman. Eine andere Erklärung wäre laut dem Virologen ebenfalls plausibel: „Es könnte durchaus sein, dass Mutationen zwar außerhalb der Erkennungsstelle eines bestimmten Antikörpers liegen, sich die Form des Virus-Moleküls allerdings durch die neuen Mutationen so verändert, dass Antikörper trotzdem in ihrer Bindung beeinträchtigt sind.“
Darüber hinaus könne spekuliert werden, dass SARS-CoV-2-spezifische Antigen-Antikörper-Interaktionen bei COVID-19-Patienten, entweder durch Impfung oder frühere Infektionen, die Varianten-spezifische Positivitätsrate von Schnelltests unterschiedlich beeinflussen könnten, so Osterman.
Zweifel äußerte Osterman auch bezüglich der Herstellerangaben: „Sollten diese Herstellerangaben genauso verlässlich sein, wie die von den Herstellern angegebenen Sensitivitäten von oft >95% ihrer Antigenschnelltests, würde ich eine unabhängige wissenschaftliche Prüfung dringend empfehlen.“
Der Münchner Virologe verweist auf Arbeiten von Roman Wölfel vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr im Rahmen der PEI-Evaluationen, die zeigen konnten, dass man nicht allen Herstellerangaben trauen kann.
Einige Hersteller hatten für ihre Tests zur Listung beim Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Sensitivitäten von >80 % angegeben, in der Labor-Prüfung erzielten sie jedoch 0 %.
„Bis ein untauglicher Test von der Liste des BfArM gestrichen wurde, wurde manchmal die gleiche Testkassette unter anderem Namen, mit falschen Herstellerangaben zur Sensitivität schon wieder in den Verkauf gebracht und war erneut zur Validierung im Labor aufgetaucht“, ist Osterman überzeugt und verweist auf einen Beitrag der Zeit. Gleiche Vorgehensweisen befürchte er nun auch bei den „Bridging-Angaben“ der Hersteller.
Antigenschnelltests weiterhin wichtiges Werkzeug
Trotz der Einschränkungen kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Antigenschnelltests für den Einsatz im Alltag geeignet sind, wenn eine hohe Viruslast und eine hohe Infektiosität vorliegen, aber auch als Übergangslösung bis zum Erhalt eines RT-PCR-Testresultats.
„Mit ihren kurzen Analysezeiten und der Möglichkeit der Vor-Ort-Testung ermöglichen Antigenschnelltests die sofortige Isolierung hochinfektiöser Patienten, noch bevor die Ergebnisse eines RT-PCR-Tests zur Verfügung stehen“, schrieben sie. Deshalb blieben Antigenschnelltests weiterhin ein unersetzliches Diagnosewerkzeug für das schnelle, ökonomische und breitflächige Vor-Ort-Screening auf SARS-CoV-2.
Kombination aus Antigenschnelltest und PCR-Test empfehlenswert
Als eigenständige Diagnosemethode zeigten Antigenschnelltests allerdings relevante Schwächen bei der Detektion von Infizierten mit einer hohen Omikron-Viruslast fahren sie fort. „Für die Früherkennung von Infizierten mit hoher Viruslast ist deshalb eine Kombination aus Antigenschnelltest und RT-PCR-Test eine effektive Strategie“, heißt es in der Schlussfolgerung des Preprints.
Allerdings schmälere die reduzierte Sensitivität bei Omikron-Infektionen die Effektivität von Antigenschnelltests, speziell wenn die Infizierten eine hohe Viruslast aufwiesen. Mit einer Gesamtsensitivität von 38,5 % seien sie keine gleichwertige Alternative zu RT-PCR-Tests.
FDA nimmt bisher keine Stellung zu PEI-Daten
Die FDA hat ihre Sorge, Antigenschnelltests könnten Omikron schlechter erkennen als frühere Varianten von SARS-CoV-2, seit Dezember nicht weiter kommentiert. Auf Nachfrage verweist die US-Arzneimittelbehörde auf diese nicht publizierten Ergebnisse des RADx-Programm des National Institutes of Health (NIH).
Es sei wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Labordaten kein Ersatz für klinische Studienauswertungen unter Verwendung von Patientenproben mit Lebendvirus seien, die derzeit durchgeführt würden, heißt es auf der Webseite. Die FDA und RADx evaluieren weiterhin die Leistung von Antigentests unter Verwendung von Patientenproben mit Lebendvirus.
Eine Stellungnahme zu den Ergebnissen des PEI wollten die US-Arzneimittelbehörde auf Anfrage nicht abgeben.
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