Politik

Ärzteschaft stellt sich gegen Terminvergabepläne der Krankenkassen

  • Mittwoch, 2. Oktober 2024
/momius, stock.adobe.com
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Berlin – Die Vorschläge des GKV-Spitzenverbands (GKV-SV) für eine zentrale Vergabe ambulanter Termine stoßen auf breite Ablehnung innerhalb der Ärzteschaft. Die freie Arztwahl „darf nicht zugunsten zentraler Pla­nungs- und Überwachungsfantasien geopfert werden“, erklärte heute die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Der GKV-Spitzenverband hatte sich jüngst erneut für ein „verbindliches bundeseinheitliches und tagesaktuelles Verzeichnis zu Sprechzeiten, ärztlichen Schwerpunkten und Weiterbildungen“ ausgesprochen. Ein solches Ver­zeichnis wäre einsatzfähig, wenn alle Vertragsärzte als Basis der digitalen Terminvereinbarung anteilig freie Termine dorthin melden würden.

Ähnliche Pläne finden sich im Regierungsentwurf für das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG). Demnach sollen KBV und GKV-SV Anforderungen an digitale Terminbuchungsplattformen vereinbaren, die von den Ver­tragsärzten und den Vertragszahnärzten zur Vereinbarung von Terminen in der GKV verwendet werden können. Von einem einheitlichen Betrieb durch die Kassen ist darin hingegen nicht die Rede.

„Wenn der Gesetzgeber einheitliche Vorgaben für Terminplattformen will, so bieten wir ihm grundsätzlich die Expertise von KBV und Kassenärztlichen Vereinigungen an“, erklärten die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner dazu heute. „Wir verfügen über ein einzigartiges Know-how bei der Entwicklung und Umsetzung von Terminplattformen, das wir gerne einsetzen werden und auch entwickeln können.“

Für den Patientenservice der 116117 würden KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ja bereits jetzt eine leistungsfähige Software für die Terminvermittlung zur Verfügung stellen. Allein im Zeitraum Januar bis August seien darüber Millionen Termine bereitgestellt worden.

Die Grundidee, dass auf diesem Wege eine einheitliche Möglichkeit entstehe, Termine aus den Praxisverwal­tungssystemen (PVS) in die Terminservices der KBV und der KVen einzustellen, sei richtig. Allerdings bräuchten die Niedergelassenen in einigen Punkten Unterstützung vom Gesetzgeber, beispielsweise müssten die zu ent­wickelnden Vorgaben und Schnittstellen für die Softwareanbieter der PVS verpflichtend sein.

Zudem enthalte der Gesetzentwurf einige problematische Punkte. So sieht er vor, dass die KBV verpflichtet wird, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforderungen der jeweiligen Portalanbieter zu überwachen und nachzuweisen. Dazu habe sie aber weder die Möglichkeit noch die eine Handhabe, kritisiert der KBV-Vorstand: „Die KBV und die KVen sind nicht die Bundesdatenschützerin.“

Auch die Finanzierungsfrage sei noch vollkommen ungeklärt. „Es handelt sich um eine gesamtgesell­schaftliche Aufgabe, die nicht aus Finanzmitteln der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gestemmt werden darf.“

Noch deutlichere Kritik übte gestern der Hartmannbund. Der Verband appelliere eindringlich an die Regie­rungs­fraktionen, „jeglichen Versuchen zu widerstehen, die Terminvergabe in der ambulanten Versorgung (…) de facto schleichend in eine ‚Kassen-Leistung‘ zu überführen“.

Es spreche ausdrücklich nichts dagegen, die Vergabe von Terminen mit Hilfe von Digitalisierung und gegeben­enfalls unter Einsatz zur Verfügung stehender Künstlicher Intelligenz (KI) noch effizienter und transparenter zu machen. „Dies kann und dies muss allerdings im Kern in den Händen der ärztlichen Selbstverwaltung stattfin­den“, betonte die stellvertretende Vorsitzende Anke Lesinski-Schiedat.

Private Dienstleister seien gut beraten, jeglichen Verdacht der Terminvergabe unter wirtschaftlichen oder an­der­weitig interessengesteuerten Aspekten auszuräumen. Es dürfe grundsätzlich an keiner Stelle des Systems der Eindruck entstehen, die Vergabe von Terminen für medizinisch notwendige Behandlungen unterliege versorgungsfremden Einflüssen.

„Wir kämpfen ohnehin schon mit einer sinkenden wirtschaftlichen Attraktivität der selbständigen Berufsaus­übung in der Niederlassung“, erklärte Lesinski-Schiedat. „Wenn nun auch noch die Reste an Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Kolleginnen und Kollegen infrage gestellt werden, indem wir ihnen am Ende des Tages mehr oder weniger fremdgesteuert Patientinnen und Patienten in die Praxen schicken, dann wird die Lust zur Niederlassung weiterhin massiv sinken.“

Man müsse sich fragen, warum sich junge Medizinerinnen und Mediziner für ein wirtschaftliches Risiko in der eigenen Praxis entscheiden sollten, wenn sie „faktisch doch immer mehr zu Angestellten der Kassen würden“.

Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) warnt wiederum davor, dass die GKV-Vorschlä­ge das Warten auf Facharzttermine noch verschärfen würde. Ein zentralisiertes System würde demnach zu einer ungesteuerten Belegung von fachärztlichen Kapazitäten führen. Stattdessen sei vielmehr eine bessere Steuerung durch die vorherige Einschätzung der Dringlichkeit durch die allgemeinmedizinischen Kollegen oder des fachärztlichen Praxisteams notwendig.

Zudem verweist der Verband auf die hohen No-Show- und Ärztehopping-Raten bei digital vereinbarten Termi­nen, die nach Schätzungen bei 20 bis 30 Prozent lägen. Auch sei zu befürchten, dass insbesondere chronisch kranke Patienten, die regelmäßige und aufeinander aufbauende Behandlungen benötigen, durch ein solches System benachteiligt werden.

„Ein zentralisiertes System wird diese Problematik nur verschärfen, ohne die eigentlichen Ursachen der Ter­min­verknappung zu adressieren“, erklärt Verbandspräsident Burkhard Lembeck. Außerdem solche dirigistischen Maßnahmen einen deutlichen Eingriff in die ärztliche Freiberuflichkeit und die persönliche Arzt-Patienten-Beziehung darstellen.

„Ärzte sind keine Befehlsempfänger“, betont Lembeck. „Ärzte üben einen freien Beruf aus, der es ihnen er­möglicht, basierend auf medizinischer Notwendigkeit und Dringlichkeit zu entscheiden, welche Patienten wann behandelt werden.“

lau

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